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Ich funktioniere innerhalb normaler Paramater

Wenn ich erlebe, wie Nichtautisten (NTs) miteinander reden, dann erlebe ich beinahe immer dasselbe:

 

Die eine Person sagt was.

Und dann sagt die andere Person, was ihr dazu in den Sinn kommt.

 

Ich bin da jedes Mal erschüttert. Aber mit den Jahrzehnten habe ich mich daran gewöhnt. Normalerweise entwickelt sich dann das, was die NTs als ein gelungenes Gespräch erleben. Jedenfalls bekomme ich beinahe nie die Rückmeldung, dass ihnen in diesem Gespräch etwas gefehlt hätte. Im Gegenteil – sie suchen solche Situationen bewusst und häufig auf, weil ihnen das so gut tut.

 

So kommen sie zusammen – in vertrauter Runde, in Cafés, in Bars, im Familienkreis:

Die eine Person sagt was.

Die andere Person sagt, was ihr dazu in den Sinn kommt.

 

In meiner Welt ist das anders.

In meiner Welt ist das ziemlich anders.

Das mag damit zusammenhängen, dass ich Autist bin, ich weiß das nicht.

Auf jeden Fall:

Wenn ich mir das aussuchen kann, dann will ich mich auf diese Weise nicht unterhalten müssen. Ich will zuhören. Ich will verstehen. Wenn ich dich nicht verstehe – wie kann ich dann was sinnvolles zu dem sagen, was du da äußerst?

 

Aber mit den NTs ist das nach meiner Erfahrung so eine Sache:

Wenn sie etwas sagen, dann wollen sie, dass da sofort etwas wahrnehmbares passiert. Sonst sind sie unglücklich.

Und so laufen Gespräche, die ich mit NTs führe, sehr häufig so:

 

Der NT sagt was.

Ich höre zu und lasse die Worte in mir nachhallen, um zu verstehen.

Fünf Sekunden vergehen.

Ich bin noch lange nicht mit dem Nachhallen fertig.

Der NT sagt was, damit es nicht mehr so still ist.

Ich bin noch mit dem beschäftigt, was er vorhin gesagt hat und bin daher verwirrt: Was sagt er jetzt schon wieder? Ich versuche, es zu verstehen und lasse deshalb diese neuen Worte in mir nachhallen. Wieder vergehen ein paar Sekunden.

Und wieder sagt der NT was. Er sagt etwas, damit es nicht mehr still ist.

 

Mein Problem dabei ist:

Wenn du sprichst, dann kann ich keinen klaren Gedanken fassen. Und auch über meine Gefühle kann ich mir am besten klar werden, wenn du gerade nichts sagst. Und so kann es sein, dass ich mehr als dreißig Sekunden brauche, bis ich mir klar über das geworden bin, was du da gerade gesagt hast. Häufst du aber in deiner Furcht vor Stille Satz auf Satz und Aussage auf Aussage, dann wird es enorm schwierig für mich. Das, was für dich ein normales Gespräch ist, wird für mich mehr und mehr zu einem hektisch geschnittenen TikTok-Clip.

 

Ich bin dann wie ein Schwimmer, der versucht, in stürmischer See den Kopf irgendwie über Wasser zu halten. Für dich mag das eine normale Unterhaltung sein. Für mich ist das Überleben.

 

Was ich bis hierhin geschrieben habe, gilt nur für’s Zuhören.

Getoppt wird das alles noch, wenn du von mir verlangst, etwas zu dem zu sagen, was du mir da erzählt hast.

 

Wenn ich mir das aussuchen kann, dann lasse ich das, was du gesagt hast, in mir nachhallen, bis ich glaube, es verstanden zu haben. Wenn ich es verstanden habe, warte ich ab, bis sich in mir Worte geformt haben, die ich sagen kann. Das kann nochmal gut und gerne Minuten dauern. Wenn sie sich aber geformt haben, dann kann ich sicher sein, dass es die besten sind, die ich sagen kann. Das weiß ich aus Erfahrung.

 

Nötigst du mich aber, jetzt sofort was zu sagen als Antwort zu dem, was du gesagt hast, dann bin ich in dieser Zwangslage:

a)    Ich weiß nicht, ob ich dich richtig verstanden habe.

b)    Ich habe keine Worte, die sich in mir geformt haben. Ich muss also irgendwas sagen.

 

Ich muss also irgendwas sagen zu etwas, was ich vermutlich nicht verstanden habe. Oder präziser: Was ich vermutlich nicht in seiner ganzen Tiefe verstanden habe. Wer sollte was davon haben?

 

Der einzige Nutzen scheint darin zu bestehen, dass es für dich jetzt nicht mehr still ist und du dich ermutigt fühlst, jetzt das nächste zu sagen.

 

Das ist für mich eine sehr fruchtlose Weise, seine Zeit zu verbringen.

Das ist für mich vergeudete Zeit.

 

Aus diesem Grund gehe ich Gesprächen mit NTs normalerweise aus dem Weg. So miteinander umzugehen ist für mich keine Möglichkeit, einander zu begegnen. Wir sind einander als Fremde begegnet, und wir werden genauso fremdwieder auseinandergehen. Für dich ist das vermutlich unvermeidlich, da du dir sehr wahrscheinlich selbst hinreichend fremd bist.

 

Aber mir steht nicht der Sinn danach.

Dafür ist mir meine Zeit zu schade.

 

Zwischenfazit

Schlimm ist es für mich, wenn ich dir zuhöre, von dir aber nicht die Zeit bekomme, die ich brauche, um in der Tiefe zu verstehen, was du mir gesagt hast.

 

Schlimmer ist es für mich, wenn ich von dir genötigt werde, dir zu antworten, bevor sich Worte in mir geformt haben. Dann soll ich mir etwas abpressen zu etwas, was ich vermutlich nur halb verstanden habe.

 

Das alles will ich nicht.

 

Es geht aber noch schlimmer:

Dann, wenn du mich nötigen willst, was von mir zu erzählen.

 

Was willst du von mir hören?

Wie willst du darauf reagieren?

 

Meine Erfahrung ist diese:

 

1

Wenn ich dir etwas von mir erzähle, wirst du mir sofort sagen, was dir dazu einfällt. Du lässt das, was ich sage, nicht in dir nachklingen. Stille entsteht dabei also nicht. Und das bedeutet: Du wirst mir assoziativ irgendwas erzählen, ohne dir die Zeit zu geben zu verstehen, was ich dir gesagt habe. Das, was du mir sagst, wird also ganz wenig mit mir und ganz viel mit dir zu tun haben.

 

Warum um alles in der Welt sollte ich ein Interesse daran haben?

 

2

Vielleicht bist du ein Mensch, der nicht direkt losplappert, wenn ich ihm was von mir erzähle. Dann wirst du aber meine Worte nicht in dir nachklingen lassen, sondern sofort Fragen stellen.

„Was meinst du damit?“

„Und was bedeutet das jetzt?“

„Wie willst du damit umgehen?“

„Wie war das für dich?“

Und so weiter.

 

Du machst also aus einem Gespräch ein Verhör. Du lässt meine Worte nicht in dir nachklingen, sondern du türmst Fragen aufeinander. Häufig genug tust du das, ohne mir die Zeit zu geben, die ich brauche, um dir zu antworten.

 

Du willst also nicht mich verstehen, sondern einen Weg finden, wie das, was ich gesagt habe, in deine vorgefertigten Denk-, Fühl- und Wahrnehmungsschablonen passt. Und dabei soll ich dir helfen.

 

Und das schlimmste für mich:

Häufig willst du dir eine Meinung zu dem machen, was ich dir gesagt habe.

Kannst du bitte mal keine Meinung haben zu dem, was ich sage, sondern einfach nur wahrnehmen?!

(Nein, kannst du nicht, ich weiß das aus Erfahrung. Vermutlich entspricht das einfach deiner Art, in der Welt zu sein).

 

Das ist also auch alles Kokolores für mich.

Warum sollte ich bei sowas mitmachen?

 

3

Wenn ich von mir erzähle, was nur ein bisschen in die Tiefe geht (wirklich nur ein bisschen), dann wird dich das überfordern.

 

·     Schildere ich dir eine Problemstellung, an der ich arbeite, dann wirst du das nicht stehen lassen, sondern mir Lösungen vorschlagen, damit die       Problemstellung weg ist.

·      Wenn ich dir schildere, was mich belastet, dann wirst du das nicht stehen lassen, sondern irgendwas äußern, was das, was ich gesagt habe,     überdecken oder beseitigen soll.

·      Wenn ich dir einen Einblick gebe, wie’s in mir aussieht, dann wirst du das nicht stehen lassen, sondern versuchen, es wegzuplappern.

·      Und so weiter.

 

Was ich hier schildere, gilt für beinahe jeden Menschen, dem ich bis jetzt begegnet bin. Es gibt Ausnahmen. Und die sind sehr wertvoll für mich.

Aber aus den genannten Gründen führe ich keine Gespräche mit den allermeisten NTs. Maximal höre ich ihnen zu – in dem Maße, wie ich das kann. Aber dass ich in ein Gespräch einsteige, das kommt beinahe nie vor.

 

Immer wieder erlebe ich, dass Menschen mehr von mir wollen. Sehr viele Menschen fühlen sich zu mir hingezogen. Sie wollen etwas von mir, was ich ihnen nicht geben kann, einfach weil ich’s nicht habe.

 

Das hindert diese Menschen aber nicht daran, mir nachzusetzen. Sie wollen mir ein Gespräch aufnötigen. In ihrer Hilflosigkeit fragen sie mich dann häufig, wie’s mir geht. Ich wiegle dann fast immer ab und sage irgendwas Belangloses oder Oberflächliches.

 

Wenn sie mich schon etwas länger kennen, antworte ich manchmal auch mit einem Satz, den ich von Commander Data (Star Trek) aufgeschnappt habe:

 

„Ich funktioniere innerhalb normaler Parameter.“

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Kommentare: 1
  • #1

    Thomas Mattes (Sonntag, 26 November 2023 16:35)

    das ist das gute daran, dass Ihr das aufgeschrieben habt. So kann ich nicht antworten, dazwischenquatschen... so "kann" ich es nachklingen lassen.
    Danke