Das Ende einer Beziehung

This is the end beautiful friend

This is the end my only friend

The end

 

Zitiert nach einer Musikgruppe, die zu ihrer Zeit sehr bekannt war.

 

***

 

Heute soll es darum gehen, woran man eigentlich erkennen kann, dass ich dabei bin, eine Beziehung zu beenden.

 

Ich kann dabei letztlich nur für mich selber sprechen und nicht für andere Autisten. Aber Interviews, die ich durchgeführt habe und Beobachtungen, die ich gemacht habe, legen nahe, dass es Autisten gibt, bei denen es ähnlich läuft wie bei mir. 

 

Ich bin Autist. Das bedeutet, ich bin Vulkanier. Das bedeutet, ich bin der Logik verpflichtet. Auch in Beziehungsdingen. Der Logik wohlgemerkt und nicht dem aufwühlenden Drama, der großen Geste, der temperamentvollen Szene oder dem endlosen Gespräch, das sich im Kreis dreht und nirgendwohin führt.

 

Wenn ich in Filmen oder Büchern vermittelt bekomme, wie NTs miteinander umgehen, wenn sie dabei sind, eine Beziehung zu beenden, dann stelle ich fest, dass ich mich da in keiner Weise wiederfinde.

 

Deshalb habe ich gedacht, dass ich das mal aufschreibe: Wie kann man sehen, dass bei mir eine Beziehung dabei ist, den Bach runterzugehen (Sprachbild).

 

Also los.

 

Dass ich in einer Beziehung bin, die Schieflage bekommen hat, bemerke ich meistens recht spät. Das wird wohl daran liegen, dass mir diese Beziehung sehr viel bedeutet und ich mich vor allem auf das konzentriere, was gut läuft und nicht so sehr auf das, was nicht gut läuft.

Da will ich oft gar nicht so genau hinschauen, wenn ich Warnsignale wahrnehme.

 

Aber irgendwann spüre ich in mir den heftigen Impuls:

„Will ich mir das eigentlich noch länger antun?!“

Das ist ein ernstes Warnzeichen für mich. Wenn ich diesen Impuls spüre, dann wollen meine Kleinen und meine Innenteile Kassensturz machen: Lohnt sich das für uns eigentlich noch?

Und meine Kleinen und meine Innenteile würden diesen Kassensturz nicht einfordern, wenn wir nicht ernste Gründe hätten, anzuzweifeln, dass sich diese Beziehung für uns noch lohnt.

 

Beziehung ist für uns immer ein Markt, ein Austausch:

Wir geben und wir bekommen. Und solange beide Seiten dieser Beziehung den Eindruck haben, hinreichend zu bekommen, ist diese Beziehung im Gleichgewicht. Wenn nicht, dann ist diese Beziehung in einer Schieflage. Für gewöhnlich muss dann was getan werden, damit sich das wieder ändert.

 

Schau‘n wir uns mal die Schritte an, die folgen, wenn ich den Eindruck habe, dass wir Kassensturz machen müssen und die Beziehung dann dem Ende entgegengeht.

 

 

1

Als der andere Teil in der Beziehung erfährst du davon erst mal nichts. Gar nichts.

 

Ich gehe ganz viel alleine spazieren und spreche mit meinen Kleinen und meinen Innenteilen durch, was das alles für uns bedeutet?

a)     Was haben wir in dieser Beziehung?

b)     Was fehlt uns in dieser Beziehung?

c)     Können wir das, was uns in dieser Beziehung fehlt, in dieser Beziehung bekommen?

d)     Könnten wir das, was uns fehlt, woanders oder auf andere Weise bekommen?

e)     Was müsste sich ändern, damit es so ist, dass es gut für uns ist?

f)      Was müsste dafür getan werden?

g)     Wie wäre es für uns, wenn wir diese Beziehung beenden würden?

h)     Und so weiter

 

Ich will Klarheit über das, was in unserem Inneren ist.

 

Das kann schnell gehen, das kann aber auch Wochen und Monate dauern. Wir wenden uns mit unseren Themen auch an Menschen, die uns coachen und an unsere Psychotherapeutin. Wir müssen wissen:

a)     In welchem Maße bauen wir hier eine Situation nach, die wir aus unserer Kindheit kennen?

b)     Was ist unser Anteil daran, dass diese Situation jetzt so ist, wie sie eben ist?

c)     Was können wir realistischerweise erwarten?

d)     Und so weiter

 

Oft genug stellen wir dabei fest, dass wir (meine Kleinen, meine Innenteile und ich) in dieser Beziehung irgendeinen uralten Konflikt reinszenieren, den wir seit Kindertagen mit uns rumtragen. Dann ist das ein therapeutisches Thema, und es wäre nicht recht, das in unser beider Beziehung auszuagieren. Deshalb bringe ich es ins Coaching oder in die Therapie.

Du erfährst in aller Regel nichts davon.

 

Aber für den Fall, dass das, was uns in der Beziehung bedrückt, ganz real ist, dann müssen wir auch in der Realität – also in unser beider Beziehung - handeln. Dann treten wir in die nächste Phase ein.

 

Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten:

·         Du bist auch Autist

·         Du bist neurotypisch

 

 

2a

Für den Fall, dass du autistisch bist, geht es jetzt recht simpel weiter:

 

Ich bitte dich kurzfristig zu einem Gespräch, und dann erläutere ich dir, wie es in mir aussieht, und zu welchen Ergebnissen ich gekommen bin. Das beinhaltet auch all die Punkte „ich brauche“, „ich vermisse“ und so weiter.

 

Dabei kommt es nicht zu Drama oder Verurteilungen oder dergleichen, sondern ich lege dir dar, wofür ich in Zukunft zur Verfügung stehe und wofür nicht. Ich teile dir meine Entscheidungen mit. Und ich sage dir auch in aller Deutlichkeit:

„… dann ist diese Beziehung zu Ende.“

 

Das ist nicht leicht für mich. Gar nicht.

Aber es ist real.

 

Dann liegen die Karten auf dem Tisch (Sprachbild) – offen und transparent -, und du kannst dir das anschauen, auf dich wirken lassen, Fragen stellen, kommentieren, Stellung nehmen – was immer du willst.

 

Und dann gehen wir beide in den Austausch und gucken, was wir damit machen.

 

Ich kenne keine bessere Möglichkeit, eine Beziehung, die in Schieflage geraten ist, zu heilen.

 

 

2b

Für den Fall, dass du neurotypisch bist:

 

Jetzt wird es kompliziert. Ziemlich kompliziert.

Denn die allermeisten neurotypischen Menschen können mit allem möglichen gut umgehen aber nicht mit der Realität.

Oder präziser:

Wenn die Realität nicht so ist, wie sie sich wünschen oder erhoffen, dann neigen die allermeisten NTs dazu, sofort hochemotional in die Irrealität zu gehen

·           Vorwürfe

·           Beschuldigungen

·           Verleugnungen

·           Angriffe

·           Situation umdefinieren

·           Selbstabwertung

·           Gegenstände fliegen durch die Luft

·           Es wird extrem laut

·           Verallgemeinerungen, Pauschalisierungen, Allaussagen

·           Und so weiter

 

Dem will ich mich nicht aussetzen. Das habe ich oft genug erlebt. Ich brauche keine Neuauflage davon. Diese Art, mit Realität umzugehen, hat auch nichts damit zu tun, dass du im Gegensatz zu mir ein sehr emotionaler Mensch bist. Es hat damit zu tun, dass du zu starker emotionaler Verwahrlosung neigst, um dich aus der Realität zu flüchten, wenn dir die Realität nicht gefällt.

Dafür stehe ich am Arbeitsplatz zur Verfügung aber nicht in einer Beziehung.

 

Auch ich bin ein emotionaler Mensch. Und die Situation ist ohnedies schon schwer genug für mich.

Und diesem Übermaß an emotionaler Verwahrlosung und Irrealität setze ich mich schon seit vielen, vielen Jahren nur noch aus, wenn ich dafür bezahlt werde.

 

Aber irgendwie muss es jetzt ja weiter gehen. Unser beider Beziehung ist ja nun mal so, dass ich so nicht weiter leben will. Es muss sich ändern, oder ich beende diese Beziehung. Da verlangt es die Fairness, dass ich dir das mitteile, damit du dich dazu verhalten kannst.

 

 

3

Grundsätzlich weiß ich ja aus langjähriger Erfahrung, welchen Anteil der Realität ich dir in welchem Maße zumuten kann, ohne dass du in die Irrealität flüchtest.

 

Ich werde also das Gespräch mit dir suchen.

Und ich werde dir ausgewählte Aspekte dessen, was ich mit meinen Kleinen und meinen Innenteilen besprochen habe, transparent machen.

 

Ich werde dich also zu sorgfältig ausgesuchten Teilaspekten ins Bild setzen und gucken, wie du reagierst.

 

Vielleicht finden wir beide auf diese Weise einen Weg, die notwendigen Dinge zu besprechen und neue Möglichkeiten zu entdecken, unsere Beziehung weiter wachsen und blühen zu lassen.

 

 

4

Wenn ich merke, dass ich mir dir nicht verständlich machen kann, dann versuche ich es zu einem anderen Zeitpunkt. Ich versuche es immer wieder auf verschiedene Weise und in unterschiedlicher Intensität.

 

Du wirst in dieser Phase vermutlich feststellen:

Er sucht echt häufig das Gespräch mit mir. Schön, dass wir so viel miteinander reden. Aber manchmal versteh‘ ich gar nicht, was er eigentlich von mir will.

 

 

5

Wenn ich mich dir weiterhin nicht verständlich machen konnte, geht es jetzt in eine Abwärtsspirale. Ich bespreche mich erneut mit meinen Kleinen und meinen Innenteilen. Wir führen jetzt Entscheidungen herbei. An diesen Entscheidungen bist du nicht beteiligt.

Ich entscheide, und ich setze das um.

Das kann dauern. Das kann Jahre dauern.

Aber ich habe Zeit. Und wenn ich entschieden habe, dann habe ich entschieden.

 

Der Schwerpunkt meines Engagements liegt ab jetzt eindeutig außerhalb unser beider Beziehung. Ich vermisse bestimmte Dinge in unserer Beziehung ganz schrecklich. Wenn ich sie nicht in unser beider Beziehung bekommen kann, dann ist es meine Aufgabe, mir das anderswo zu besorgen.

 

Du wirst in dieser Phase vermutlich feststellen:

Er ist beschäftigt.

 

 

6

Ich werde dir gegenüber extrem einsilbig und schweigsam. Ich ziehe mich in mein Inneres zurück. Von mir erzähle ich dir nur noch Oberflächliches und völlig Belangloses. Wenn wir beide zusammen sind, lasse ich dir gegenüber nur noch eine gut funktionierende Oberfläche agieren.

Es ist gut möglich, dass du das missinterpretierst und den Eindruck hast, dass unser beider Beziehung jetzt in eine gute Phase eingetreten ist, weil du jetzt so viele Möglichkeiten bekommst, ausufernd zu erzählen und ich so viel zuhöre.

 

Es ist ein großer Unterschied, ob ich dir zuhöre oder einfach nur da bin und nichts sage.

Wenn du ein typischer Neurotypischer bist, dann bist du nicht in der Lage, das eine vom anderen zu unterscheiden.

 

(Das mag auch daran liegen, dass ich mit den Jahrzehnten gelernt habe, automatisiert all die Geräusche zu machen, die NTs in einem Gespräch so gerne hören:

„Ja?“

„Mhm.“

„Ich verstehe.“

Und so weiter.

Aktives Zuhören kann genauso gut aktive Gesprächsverweigerung sein. Wenn du ein typischer Neurotypischer bist, dann bist du nach meiner Erfahrung nicht in der Lage, das eine vom anderen zu unterscheiden).

 

Du wirst in dieser Phase vermutlich feststellen:

In dieser Beziehung gibt es wirklich viel Raum für mich. Ich kann mich entfalten. Ich komme zu meinem Recht.

 

 

7

Ich vermeide Gesprächssituationen mit dir.

 

Ich habe zu tun, ich bin beschäftigt (wahnsinnig viel Arbeit!), ich bin nicht da …

Kurz:

Deine ganzen Monologe, die du bis jetzt für Gespräche gehalten hast, die musst du jetzt mit dir alleine oder mit jemand anderem führen.

 

Zu diesem Zeitpunkt bin ich für dich schon nicht mehr zu erreichen. Jedenfalls nicht mit Worten.

Jedes …

„Wir müssen reden“

„Du hast doch was – irgendwas ist doch mit dir … Ich kenn‘ dich doch“

„Sag mal, bist du sauer auf mich oder was?“

… kannst du dir sparen.

Das läuft ins Leere. Ich werde Ausflüchte finden oder dir das erzählen, was du gerade hören willst, damit ich das irgendwie hinter mich gebracht habe. Ich sage dann Dinge, die sich so anhören:

„Nein, nein, alles in Ordnung.“

„Oh, ich hab‘ etwas Kopfschmerzen. Wird wohl das Wetter sein.“

Und so weiter.

 

Ich habe dir (vor geraumer Zeit) Chancen gegeben. Besser habe ich es leider nicht hingekriegt. Du hast sie nicht genutzt. Jetzt bin ich unterwegs. Dieser Zug ist abgefahren, und er fuhr ohne dich.

 

Du wirst in dieser Phase vermutlich feststellen:

Er ist unerreichbar für mich.

Ich habe keine Ahnung, was ihn beschäftigt.

Ich habe keine Ahnung, wer er ist.

 

 

8

Ich vermeide Begegnungen mit dir.

 

Kommst du in den Raum, verlasse ich den Raum. Nehme ich wahr, dass du dich mir näherst, ohne dass du mich bislang bemerkt hast, dann mache ich mich unsichtbar. Ich bin Autist, ich habe ein Leben lang trainiert, wie man NTs aus dem Weg geht, denen man nicht begegnen will.

 

Unternehmungen, die wir früher gemeinsam gemacht haben, mache ich jetzt alleine oder mit jemand anderem.

 

Unser Kontakt ist jetzt wirklich auf das Notwendigste beschränkt.

 

Du wirst in dieser Phase vermutlich feststellen:

Ich habe ihn verloren.

 

 

9

Du gehst, ich gehe – wen interessiert das?

 

Wir verlassen eine Hülle, die schon längere Zeit leer war.

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