Warum Texte?

Mein Arbeitgeber macht Videos mit mir. So richtig im Aufnahmestudio und so. Komplett mit Regie und Regieassistenz und jeder Menge Scheinwerfern, Kameras und Mikrofonen. Und Podcasts macht er mit mir. Die werden aber mit deutlich weniger Technik eingespielt.

 

Diese Videos und Podcasts sind für die unternehmensinterne Öffentlichkeit oder für das Internet bestimmt. Ich informiere in ihnen über bestimmte psychische Zusammenhänge und gebe Hinweise, wie man in bestimmten Situationen besser reagieren kann. Konfliktmanagement, Burnoutprophylaxe, Kommunikation in schwierigen Situationen, Reaktion auf Krisen … und so weiter.

 

Das Zeug kommt gut an. Ich kann gar nicht mal sagen, warum. Aber das ist für mich auch nicht weiter wichtig. Im Internet kommen auch gut an:

·      Schminktipps

·      Irgendwas Halbgares von irgendwelchen „Influencern“

·      Sprüche

·      Verschwörungsmythen

·      Hasstiraden

·      Noch mehr Sprüche

·      Alles, was die Gräben zwischen Menschen noch mehr vertieft

·      Katzenvideos

·      Einfache Lösungen für komplexe Themen

·      Noch mehr Hasstiraden

·      Und so weiter

 

Wenn mein Zeug also gut ankommt – was soll’s? Das sagt nichts aus über die Güte des Inhalts aus oder darüber, wie gut ich das vermittle.

 

Immer wieder bekomme ich in Gesprächen mit Kunden und Kollegen mit, dass die allermeisten von ihnen sich lieber durch Videos informieren (oder durch Podcasts, wenn sie im Auto fahren). Sie wollen nicht lesen. Egal, was ich an Inhalten zu vermitteln habe:

„Du Stiller, kannst du dazu nicht ein Video machen?“

 

Äh ja, kann ich. Will ich aber nicht.

 

Dasselbe gilt für diesen Blog.

Selbstverständlich könnte ich den auch als Video herausbringen. Meine Stimme wird weithin gerühmt. Ich solle damit Hörbücher einsprechen, bekomme ich immer wieder als Rückmeldung. Da würde ich dann also vor irgendeinem neutralen Hintergrund sitzen und mit sonorer Stimme vortragen, was ich sonst in einem Text unterbringe. Hier und da würde ich noch eine Grafik oder eine kurze Filmsequenz unterbringen. Das würde mir sicher das zehnfache an Reichweite einbringen und jede Menge Likes und was es da sonst noch gibt. Und wenn ich das alles noch auf Englisch machen würde, dann würde das Geschäft richtig brummen.

 

Will ich aber nicht. Ich will Texte schreiben.

Warum will ich keine Videos oder Podcasts machen?

 

Eigentlich ist es ganz simpel:

Leute, ihr lest es, oder ihr lest es nicht. Ich nehm’s, wie’s kommt. Ich habe keine Botschaft unters Volk zu bringen, und ich will auch nicht missionieren. Und mir liegt in keiner Weise daran, bekannt, einflussreich oder was auch immer zu werden. Wenn ich tausende Abonnenten und hunderte Likes habe, wird mein Leben dadurch in keiner Weise besser. Und eures auch nicht.

 

Ihr werdet das kennen - von bekannten Schriftstellern, Künstlern und sonstigen Celebrities: Die haben hunderttausende Follower und Millionen Likes und so weiter. Sie werden geradezu überschüttet mit medialer Aufmerksamkeit und Fanreaktionen.

Und dennoch gilt:

Wenn ihr Leben vorher arm war, dann ist es auch jetzt arm.

Wenn ihnen ihre Beziehungen vorher nicht gelungen sind, dann gelingen sie ihnen auch jetzt nicht.

Wenn sie vorher nicht mit sich selber klarkamen, dann kommen sie auch jetzt nicht mit sich selber klar.

Und so weiter.

 

Genauso wie es in keiner Weise glücklich macht, mehr Geld zu haben als man braucht (und wer bitteschön braucht hunderte Millionen Euro? Wann und zu welchem Zweck willst du das denn alles ausgeben?) genauso wenig macht es das Leben reicher, erfüllter, schöner oder sinnvoller, wenn du Follower und Likes hast.

 

Darüber hinaus gilt: Das, was ich zu sagen habe, wird nicht dadurch besser, dass mehr Leute das rezipieren oder gut finden.

 

 

Bleibt noch das Argument, dass fast alle Menschen, die ich spreche, sich wesentlich lieber durch Videos oder Podcasts informieren als durch Texte.

 

Dazu sage ich:

Ja, das ist mir schon klar. Aber ich habe keine Lust. An Texten wie diesem sitze ich viele, viele Tage – meistens über Stunden am Stück - und feile und bastle und überlege, was ich eigentlich sagen will, und ob es nicht möglich wäre,

·      das einfacher zu sagen

·      treffendere Beispiele zu finden

·      besser zu strukturieren

·      präziser und prägnanter zu formulieren.

 

Das ist also mehr die Arbeit eines Feinmechanikers oder Uhrmachers als die eines Entertainers. Videos kann ich gut machen zu Themen, die ich schon hunderte Male in Seminaren mit meinen Teilnehmern durchgesprochen habe. Da bin ich mir meiner Sache sehr sicher. Da weiß ich, wie die Einzelteile zusammengehören, wie die innere Struktur des Themas ist, und mit welchen Beispielen und Analogien ich die Dinge erklären kann.

 

Aber in Texten wie diesem entwickle ich meistens etwas, was für mich völlig neu ist. Da will ich mir oft selber erst mal klar werden, worum’s mir eigentlich geht. Da will ich basteln, feilen und justieren. Da muss ich ganz viel mit meinen Kleinen und meinen Innenteilen besprechen. Das ist Stillarbeit. Das ist höchste Konzentration. Stundenlang. Da geht es darum, verborgene Strukturen herauszuarbeiten, innere Widersprüche zu befragen und zu bearbeiten und buchstäblich jedes Wort daraufhin abzuklopfen, ob es an dieser Stelle auch das richtige ist.

 

Und ganz oft steht dabei die Frage im Raum:

Worum geht’s jetzt überhaupt?

Was ist der Kern dessen, was ich jetzt gerade sagen will?

 

Ich bin sehr sicher, dass die wenigsten von euch stundenlang Videos anschauen würden, in denen ein Uhrmacher still und konzentriert eine mechanische Uhr zusammenbaut, wo er von der ersten Schraube bis zum letzten Zahnrad alles selber herstellt.

 

Klar könnte ich dann die fertigen Texte in irgendeine Kamera sprechen.

Aber wie gesagt:

Ich hab‘ keine Lust.

Ihr lest das, oder ihr lasst das sein.

Und nach allem, was ich weiß, kann man sich kostenlose Apps herunterladen, die einem die Texte vorlesen.

 

 

Und was mein eigenes Informationsverhalten betrifft:

 

Ich selber bin immer wieder auf YouTube unterwegs und sammle Informationen ein. Ich schaue mir Vorlesungen oder Vorträge zu meinen Spezialinteressen an:

·      Philosophie

·      Geschichte

·      Physik und theoretische Physik

·      Psychokram

·      Mathematik

Und so weiter.

 

Und oft genug bin ich genervt:

„Komm zum Punkt!“

Sehr oft ist es so:

Das, was mir in einer Vorlesung oder einem Vortrag in anderthalb Stunden an Information übermittelt wird, das könnte ich lesend in zwanzig Minuten aufnehmen. Ich kann dieses leutselige Geschwätz mancher Leute auf den Tod nicht leiden:

Gib mir Informationen und laber nicht wild in der Gegend rum!

Verdichte das, was du zu sagen hast, strukturiere das vernünftig, dann hast du diese Laberei auch nicht mehr nötig. Mach aus fünf Minuten Information nicht zwanzig Minuten Video!

 

Ja, auch ich neige zu leutseliger Geschwätzigkeit, keine Frage. Aber mir geht’s da wie den meisten Schwätzern:

Unser eigenes Geschwätz finden wir ganz prima. Das Geschwätz anderer geht uns fürchterlich auf den Geist.

Aber in Texten kann man das Geschwätz einfach überlesen. Man eilt dann mit den Augen weiter, bis man sieht: Aha, hier kommen wieder Informationen.

In Videos gibt es diese Möglichkeit nicht. Wenn ich da vorspringe, um zu dem Punkt zu kommen, wo es wieder Informationen gibt, muss ich rumstochern und rumprobieren – vor, zurück, vor, zurück - bis ich die Stelle gefunden habe, wo wieder Information einsetzt. Ich finde das ziemlich nervig.

 

 

Und aus all diesen Gründen bleibe ich bei Texten.

 

Und ihr lest das, oder ihr lest das nicht.

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Kommentare: 1
  • #1

    PolizistundAutist (Sonntag, 18 Juni 2023 21:43)

    Oh ja, bitte keine Videos ! Nirgendwo sind gleichgeartet interessante Texte zu finden.
    Bin aber sehr gespannt auf die avisierten Bilder/Skizzen :-)