Es gibt kein Zurück

Sorry, Leute, dass es auch in diesem Text vor allem um Trauma und Traumafolgen gehen wird. Das ist das Thema, das uns (meine Kleinen, meine Innenteile und mich) zur Zeit am meisten umtreibt. Sobald sich das ändert, werden sich auch die Inhalte dieses Blogs ändern. Aber auf absehbare Zeit ist damit nicht zu rechnen.

 

Wir schreiben dieses Zeug, weil wir niemanden finden, der sowas schreibt. Wir sind intensiv auf der Suche nach Texten, die zu uns passen, aber wir finden keine. Also müssen wir das selber schreiben.

Und wir vermuten, dass es Menschen gibt, denen es ähnlich geht. Und für die schreiben wir das hier auf.

 

Trauma und Traumafolgen also. Und dass es kein Zurück gibt.

Was hat es damit auf sich?

 

Wenn wir uns anschauen, was wir im Netz zum Thema Trauma finden, finden wir beinahe nie etwas, was zu uns passt. Die Menschen, die über Trauma und Traumafolgen schreiben oder sich auf YouTube äußern, reden also über irgendwelche anderen Menschen, nicht aber über uns. Und oft fragen wir uns, woran das liegt.

 

Die, die da schreiben oder sich auf YouTube äußern, sind oft sehr kluge und erfahrene Leute. Und an den Rückmeldungen, die sie bekommen, sehen wir, dass sie vielen Menschen aus der Seele sprechen (Sprachbild). Dennoch äußern sie fast ausnahmslos Zeug, das in unserer Welt der reine Stuss ist.

Warum passt also dieses Zeug so gut zu anderen Menschen und so überhaupt nicht zu uns? Was unterscheidet uns von diesen anderen Menschen?

 

Seit einigen Wochen kristallisieren sich für uns drei Punkte heraus, die entscheidend zu sein scheinen. Die, die sich da zum Thema Trauma und Traumafolgen äußern, gehen offenbar von drei Voraussetzungen aus, die auf uns einfach nicht zutreffen:

 

1.   Das Trauma kann erinnert werden.

2.   Es ist nur eine traumatische Situation gewesen, oder wenn es mehrere waren, dann waren sie von gleichartiger Thematik und Intensität.

3.   Es gibt eine klar abgegrenzte Zeit – die Zeit vor dem Trauma und die Zeit danach.

 

Schauen wir uns das mal in Zeitlupe an.

 

 

1. Das Trauma kann erinnert werden.

 

Das gilt für uns nicht. Und das gilt für uns tatsächlich in keinem Fall. Alles, was für uns erinnerbar war, haben wir in unserer ersten Therapie abgearbeitet. Und wir können euch versichern, dass wir – verglichen mit anderen Menschen – ein sehr gutes Gedächtnis haben.

 

Aber das, was wir jetzt in Arbeit haben, das überfällt uns regelmäßig aus dem Nichts. Es ist in unserem Körper gespeichert aber dem Bewusstsein in keiner Weise zugänglich. Wie kann das sein?

 

Es ist vergleichsweise simpel:

Wenn die Traumatisierung schwer genug ist, dann vergisst du das noch in dem Moment, wo es dir geschieht, weil du sonst nicht überleben könntest. Körper und Seele werden derart überflutet mit belastenden Ereignissen, dass das als Selbstschutz direkt im Körper abgelegt wird.

 

Das mag sich für Untraumatisierte bizarr anhören, aber ich kann euch versichern, dass es so ist:

Wenn das Trauma schwer genug ist, wirst du von deinem Körper in einen anderen Bewusstseinszustand geschaltet, und es ist so, als würde das, was dir passiert, irgendjemand anderem passieren. Und du vergisst es noch in dem Moment, wo es dir passiert.

 

Die Psychotherapeutin Gabriele Kahn stuft dieses sofortige Vergessen in einer Weise ab, die wir für sehr klug halten:

 

a)  Das Ereignis wird erinnert, aber seine Bedeutung ist verloren gegangen. Die Menschen können über dieses Ereignis sachlich und nüchtern berichten, aber sie bagatellisieren es. Häufig lachen sie über sich selber, wenn sie von diesem Ereignis erzählen.

b)    Die zum Ereignis gehörenden Gefühle bzw. Körpererinnerungen sind verloren gegangen. Das Ereignis wird erinnert, aber es gibt kein Gefühl mehr dazu bzw. die betroffene Körperregion ist irgendwie fremd und taub.

c)   Das Ereignis wird überhaupt nicht mehr erinnert. Die Menschen können sich nicht mal mehr vorstellen, dass sowas ihnen oder anderen passiert ist. Der Körper erinnert sich noch, aber das, was er erinnert, ist dem Bewusstsein nicht mehr zugänglich oder wird fehlinterpretiert – als somatische Erkrankung und dergleichen.

d)  Der Körper wird verlassen. Der Körper erinnert sich noch, aber niemand wohnt mehr in ihm. Menschen, die sehr stark traumatisiert wurden, mussten Psyche und Körper trennen. Psyche und Körper scheinen seitdem mehr oder weniger getrennt voneinander zu existieren.

e)   Menschen haben einen Teil von sich sterben lassen. Diese Teile werden in einen Bereich abgeschoben, der tatsächlich nicht mehr zum Leben zu gehören scheint. Der ist ganz weit weg. Er ist in einer anderen Welt.

 

 

All diese Abstufungen sind uns sehr vertraut.

Aber das, was wir im Netz zum Thema Trauma finden, scheint vor allem für die Stufen a) und b) gültig zu sein.

So oft scheint es darum zu gehen, das Trauma zu erinnern und davon zu erzählen:

 

Verzeihung, wir erinnern buchstäblich gar nichts. Wir sind ausnahmslos in den Stufen c) bis e) unterwegs. Wir wissen, dass da was sein muss, denn wenn wir da in unserem Inneren hingucken, dann ist es so, als ob wir blind wären. Aber wir erinnern nichts. Gar nichts. Folglich können wir da auch nichts erzählen oder uns in irgendwas hineinversetzen.

 

 

2. Es ist nur eine traumatische Situation gewesen, oder wenn es mehrere waren, dann waren sie von gleichartiger Thematik und Intensität

 

Äh, nein.

Das gilt für uns nicht.

Überhaupt nicht.

In keiner Weise.

Wir waren weißer und schwarzer Folter in derart mannigfacher Ausprägung und Intensität ausgesetzt – unser ganzes Kinderleben lang -, da kam so ziemlich alles zusammen, was vorstellbar ist:

Nenne uns irgendeine Form, wie man ein Kind an Körper oder Seele schädigen kann, und es ist sehr wahrscheinlich, dass wir davon aus eigenem Erleben berichten können. (Ausnahmen sind Schädigungen durch Überfluss und Überbehütung). Es fällt uns auch sehr schwer, diese Traumata getrennt voneinander zu betrachten. Denn es hing immer alles miteinander zusammen.

 

Wenn du draußen spazieren gehst, und du kommst in ein schweres Unwetter – würdest du dann echt hergehen und Luftdruck, Luftfeuchte, Windgeschwindigkeit, Niederschlag und Temperatur getrennt voneinander betrachten?

 

 

3.   Es gibt eine klar abgegrenzte Zeit – die Zeit vor dem Trauma und die Zeit danach.

 

Das scheint uns in vielerlei Hinsicht der Hauptpunkt zu sein.

Wenn Afghanistan-Veteranen berichten, ist es oft so, dass sie erreichen wollen, dass es ihnen so geht, wie es ihnen vor dem Einsatz gegangen ist. Es gibt für sie also ein Zurück. Dasselbe gilt für Unfallopfer. Oder für viele Menschen, die als Erwachsene vergewaltigt wurden. Es gibt einen Zustand davor, und da wollen sie wieder hin, und die ganze Therapie ist darauf ausgerichtet, dieses Ziel zu erreichen. Es soll wieder so sein wie vor dem Trauma.

 

Für uns gilt das nicht. Für uns gibt es keinen Zeitpunkt vor dem Trauma. Gegenüber unserer Therapeutin brachten wir es unlängst so auf den Punkt:

Wenn wir uns den Herrn der Ringe anschauen, dann kommen die Hobbits am Ende ins Auenland zurück. Da haben sie noch einiges zu tun, aber für drei von ihnen ist danach alles wieder gut, denn sie haben ihre Heimat wieder. Dort können sie leben. Dort können sie sein. Von dort kommen sie. Dort gehören sie hin. Das gilt für uns nicht. Wir sind nicht im Auenland geboren und aufgewachsen. Wir sind in Mordor geboren und aufgewachsen. Irgendwo zwischen Durthang und den Plains von Gorgoroth. (Und nein, wir sind kein Ork oder sowas. Wir sind ein Mensch). Und dahin – nach Mordor - wollen wir nicht zurück. Natürlich müssen wir dahin zurück, wenn wir heilen wollen. Denn wir müssen all die wiederfinden, die wir damals bei unserer Flucht aus Mordor verloren oder zurückgelassen haben. Aber wenn jetzt ein Therapeut daherkommt und sagt:

„Schau, das ist deine Heimat. Stell dir mal vier Blumentöpfe an den Mount Doom, und du wirst sehen: Das wird richtig gemütlich!“

dann sagen wir ihm:

„Nee, eher nicht.“

 

Wir können also nicht zurück, und für uns gibt es kein Zurück. Jedes Zurück kann nur therapeutischer Art sein, weil wir Dinge von damals wiederfinden müssen, wenn wir heilen wollen. Aber dann – nichts wie raus da!

 

Beinahe alles, was wir im Netz zu Trauma und Traumafolgen finden, scheint darauf fokussiert zu sein, einen Zustand wiederherzustellen, der einmal war, und der gut war. Wann immer im Leben dieses Menschen dieser Zustand auch war. Für manche ist das vor ihrem Kriegseinsatz, für andere ist das vor einem belastenden Ereignis in ihrer Kindheit, für andere ist das die Zeit, die sie kurz vor ihrer Geburt erlebten.

 

Für uns gilt das alles nicht. Es hat niemals in unserem Leben einen Zeitpunkt gegeben, wo der Zustand gut war. Oder präziser: Wo er nicht katastrophal war. Weder vor der Geburt noch danach.

Einschränkung:

Es hat in unserer Kindheit immer wieder Momente gegeben, wo alles gut und richtig war und wir wirklich glücklich und zufrieden waren. Das sind Momente, die wir sehr schätzen und hüten. Wir tragen sie mit uns herum wie Samenkörner einer Landschaft, die wir irgendwann irgendwo ergrünen sehen wollen.

Aber nicht in Mordor!

Es sind Momente. Es sind Samenkörner. Und auf einem Samenkorn kannst du nicht dein Haus bauen.

 

Es gibt für uns kein Zurück. Wir können nicht zurück zu irgendeinem Zeitpunkt in unserem Leben vor der Traumatisierung, wo alles gut war, um aus diesem Zustand wieder alles neu zu erschaffen und zu heilen. Wir wissen auch nicht, wo wir hin können oder sollen. Ins Auenland? Nach Lorien? – Aber niemals! Da gehören wir nicht hin. Da sind wir Fremde. Da werden wir immer Fremde sein. Da fühlen wir uns überhaupt nicht wohl.

 

Wir wissen also nicht, wo wir hinkönnen. Aber zurück können wir auf gar keinen Fall!

 

Und jeder therapeutische Ansatz, der das zum Ziel hat, muss bei uns notwendigerweise scheitern.

 

 

 

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