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Das Jahr der Geburt - Teil neun – Onk! 2/2

*** Achtung bitte, dieser Text enthält Triggerkram. ***

 

 

Wenn wir Therapie machen, dann kämpfen wir in aller Regel gegen den Feind. Der Feind ist in uns, und dort wird er auch bekämpft.

Das klingt aber recht abstrakt: „Der Feind“ – wer ist das?

 

Das ist zum einen der zerstörerische Teil der leiblichen Mutter, der in uns zurückgeblieben ist.

Und das sind zum anderen all die bösartigen Männer, die uns Gewalt angetan haben – angefangen bei unserem leiblichen Vater (der aber nicht der Schlimmste war) über all die Vergewaltiger und Folterer bis hin zu denen, deren Spuren wir noch in uns finden werden. Sie sind zahlreich, sie sind sehr bösartig, sie sind außerordentlich gewalttätig und sehr mächtig. Aber wir werden sie einen nach dem anderen aufspüren, bekämpfen und vernichten.

 

Da kennen wir nichts.

 

Schon kurz nachdem Onk! dauerhaft bei uns auftauchte, begriffen wir, dass er mehr Erfahrung mit dem Feind hatte, als wir alle zusammen. Onk! ist dem Wesen nach ein kleines Kind. Wir wissen nicht, wann er entstanden ist, aber wenn er bei uns ist, dann ist er meistens zwei Jahre alt.

 

Onk! hat schlohweiße Haare. Die hat er nicht, weil er so geboren wurde. Die hat er, weil er den Feind erlebt hat. Er hat ihn viel direkter und stärker erlebt als wir alle. Onk! trägt so viele und so schreckliche Geheimnisse in sich, dass er für uns ungemein wertvoll ist.

Onk! ist nicht nur einfach ein Nazi, ein Usurpator und ein Möchtegerndiktator. Onk! weiß ganz, ganz viel, was wir auch wissen müssen, wenn wir leben und heilen wollen.

 

Also machten wir uns gemeinsam auf den Weg – auf der Matte.

Ich als Meister ging mit dem Sauhaufen in Situationen rein, die unser gemeinsamer Körper freigab, und Onk! stellte uns dabei seine Leute vor. Onk! selber ist Viele. Und jeder Teil von ihm trägt einen kleinen Teil einer furchtbaren Erfahrung.

 

In den ersten Wochen war es Onk! wichtig, dass wir keinerlei Kontakt mit dem Feind hatten, den er erlebt hatte. Er war der Ansicht, dass wir das nicht überleben würden. Er wollte uns schützen. Und so nahmen wir über Wochen laufend kleine Bruchstücke einer Situation auf, die sich erst ganz allmählich zu etwas Größerem zusammenpuzzeln ließ. Es ist auch heute (wir schreiben das im Frühjahr 2022 auf) immer noch nicht so, dass wir das alles begreifen, was Onk! da mitgebracht hat, und was ihn ausmacht. Aber das eine oder andere haben wir begriffen.

 

Bei dem, was Onk! uns bislang mitbrachte und zeigte, ging es vor allem um die ersten Tage und Wochen, die wir gemeinsam mit unserer leiblichen Mutter gehabt hatten.

Zur Erinnerung:

Wir waren damals ein Säugling, und sie war eine Mutter, die da ein Kind hatte, das aus einer Vergewaltigung resultierte, von dem sie aber nie wusste, ob sie es direkt töten oder lieber in langen Sequenzen ruinieren und zerstören wollte. (Siehe auch „Der Weg der Verdammten“.)

 

Zu dem, was Onk! mitbrachte, gehörte dieses:

 

1

Unsere leibliche Mutter hatte uns gestillt. Dann – wir lagen noch auf ihrem Schoß – fing sie an, mit tödlichem Hass auf uns einzuschlagen. Diese Schläge trafen uns vollkommen unvorbereitet. Wir konnten uns in keiner Weise wehren oder schützen. Jeder dieser Schläge drang durch und zerstörte unsere Seele. Wir haben das nie ganz differenzieren können – waren das fünf oder sechs Schläge gewesen? Sie hatte ihren ganzen tödlichen Hass in diese Schläge gelegt. Und jeder einzelne dieser Schläge war so schlimm, dass wir mindestens eine Liegung brauchten, um ihn wiederzufinden.

 

2

Nach diesen Schlägen wurde uns so komplett schwindlig auf der Matte, dass wir uns dieses zusammenpuzzeln konnten:

Wir flogen durch die Luft. Sie hatte uns genommen und weggeschmissen. Wir flogen eine ganze Weile. Dann prallten wir auf irgendwas. Was dann kam, erinnern wir nicht mehr.

 

3

In einer anderen Stillsituation wurde uns auf einmal auf eine sehr merkwürdige Weise sehr schlimm schlecht. Das war keine normale Übelkeit. Schon seit Jahrzehnten wissen wir aus eigener Erfahrung, dass ein Säugling, buchstäblich jedes Gefühl, das die Mutter ihm gegenüber hat, aus der Milch herausschmeckt. So wie die Mutter sich fühlt, so schmeckt auch die Milch. Wir nahmen also bei jedem Gestilltwerden buchstäblich unseren Tod auf. Oder wie unsere Kleinen sagten:

„Wir essen hier unseren Tod!“

(Aber wir hatten ja keine Wahl. Wir wollten doch nicht verhungern. Wir mussten was essen. Wir tranken diese Milch, erbrachen sie wieder, weil wir nicht unseren Tod essen wollten, sie war verzweifelt, schlug uns oder schrie uns an … wir waren hungrig und schrien in unserem Hunger, sie war voller Hass und völlig verzweifelt – es war die Hölle).

 

Aber diesmal war es nicht das, was wir sonst an Verdammnis und Tod durch ihre Milch in uns aufnahmen. Diesmal war es anders. Es war schwarz, es war viel todbringender als alles, was wir je in uns aufgenommen hatten. Wir können nur vermuten, was es war:

Sie hat irgendwelche Medikamente oder Giftstoffe gegessen, die uns den Tod bringen sollten. Vermutlich hat sie auch dabei wieder billigend in Kauf genommen, dass sie selbst starb.

 

 

So ging das über Monate, wenn Onk! uns seine Leute vorstellte und diese Leute mitbrachten, was sie an Traumata im Gepäck hatten. Fast immer ging es um Situationen, wo wir gestillt wurden. Es war immer eine absolute Katastrophe. Jedesmal aßen wir unseren Tod und konnten spüren, wie sich dieser Tod in buchstäblich jeder Zelle unseres Körpers einnistete.

„So entsteht Leukämie“, informierten uns unsere Kleinen.

Leukämie und noch viel schlimmeres. Wir nahmen in jeder dieser Stillsituation kannenweise unseren eigenen Tod in uns auf, der in uns eingebaut wurde, in buchstäblich jede Körperzelle – Knochen, Gewebe, Organe, Nerven … wir konnten ganz deutlich spüren, wie sich überall in uns unser eigener Tod einnistete.

 

Das war nichts, was wir wollten.

Aber wir wollten leben.

Also mussten wir irgendwas essen.

Aber wir wurden vergiftet.

Und so aßen wir unseren Tod.

 

Und wenn wir nicht vergiftet wurden, wurden wir mit tödlichem Hass geschlagen.

Oder unter einem dickeren Tuch erstickt.

Oder durch die Gegend geworfen.

 

Wie gesagt – Onk! hat schlohweiße Haare.

Und wir stehen erst ganz am Anfang.

 

 

Unsere leibliche Mutter hat uns weniger als sechs Wochen gestillt. Wir wissen nicht, ab wann sie mit irgendwelchem Zeug zugefüttert hat. Aber wir wissen genau, wie das schmeckte, und dass es oft viel zu heiß war. Sie hat uns damit so oft und so stark Rachen und Kehle verbrannt, dass wir dieses Gefühl auch heute noch zu jedem Zeitpunkt in uns wachrufen können.

 

Irgendwann sagte uns unsere Therapeutin in einer Nachbesprechung:

„Und als Psychologe wissen Sie ja, wie wichtig die Stillbeziehung für die spätere Bindungsfähigkeit des Kindes ist.“

Wir antworteten ihr:

„Das war keine Stillbeziehung, das war ein Stillkrieg.“

 

 

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Erklärung und Erweiterung

 

Wir sind nicht bindungsfähig, wir sind das nie gewesen.

Wir sind bei dieser Therapie mit dem Ziel angetreten, dass wir Heimat finden. Heimat haben wir noch nie gehabt in unserem Leben. Wir waren immer ein verlorener, ewiger Wanderer – immer schon. Das war noch nie in unserem Leben anders.

 

Wir wollen Heimat. Das ist ein Beschluss in uns. Und wenn wir eine sogenannte „Beschlusslage“ haben, dann ist die für alle in uns bindend.

Wenn wir Heimat wollen, dann müssen wir das in uns finden, was es uns unmöglich macht, Heimat zu haben bzw. Heimat zu erleben.

 

Heimat ohne Bindung erleben oder haben zu können halten wir für unmöglich.

 

Also werden wir mit dieser Therapie weiter machen.

Aber wir können euch versichern, dass es extrem unangenehm ist, in sowas erneut reinzugehen.

 

Wenn wir Heimat wollen, wenn wir heilen wollen, dann haben wir aber keinen anderen Weg und keine andere Chance.

 

Also tun wir das, was notwendig ist.

So, wie wir das immer tun. 

 

 

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