Süchtig werden

Ich arbeitete damals als Personalentwickler in einem internationalen Großkonzern. Zu meinen Kunden gehörte eine junge, aufstrebende Führungskraft. Abteilungsleiter – sehr ehrgeizig, sehr dynamisch. Und ein wahrer Narzisst vor dem Herrn. Du liebe Güte, war der Mann von sich und seiner Einzigartigkeit überzeugt! Wie sehr versuchte er so ziemlich alle Menschen in seinem Umfeld zu umgarnen und zu manipulieren, um sie für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Und wieviele Worte machte er, um alle zu überzeugen, dass dem nicht so war.

 

Denn in Wirklichkeit war er ein sehr, sehr bescheidener Mensch, der weder nach Bewunderung noch nach Anerkennung von allen Seiten strebte. Und Geld, Statussymbole und Karriere – das war alles völlig unbedeutend für ihn, jaja.

 

Aber wir verstanden uns. In meinem Leben darfst du Narzisst sein, soviel du willst, da hab‘ ich nichts gegen. Du darfst mir halt nicht auf den Geist gehen, und wenn du mir Aufträge gibst, dann müssen sie ethisch gerechtfertigt sein, und sie dürfen nicht gegen geltendes Recht sowie Sitte und Anstand verstoßen. Aber ansonsten: Wenn du der schönste, größte, klügste und tollste bist – bitte sehr, ich hab‘ nichts dagegen. Irgendwer muss diesen Posten ja übernehmen.

 

In einer unserer ersten Begegnungen hatten wir uns gegenseitig abgetastet und abgetestet.  Diese Situation war wie folgt zustande gekommen: Ich hatte von ihm den Auftrag bekommen, einen Workshop für ihn und seine ihm zugeordneten Führungskräfte zu leiten. Ich war damals noch völlig neu in dem Konzern und in dieser Stadt.

 

Der Workshop fand etliche Kilometer außerhalb der Stadt in einem Tagungshotel statt. Damals gab es weder Googlemaps noch Navi. Es gab Landkarten und Wegweiser. Ich wusste ungefähr, in welcher Himmelsrichtung das Hotel lag, und auf welche Autobahn ich musste. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich mich mit dem Auto aus der Stadt rausfusseln sollte. Ich wusste nur, dass ich über den Rhein musste.

Der Abteilungsleiter und ich verließen gemeinsam das Konzerngebäude. Ich fragte ihn:

„Wie komm‘ ich denn jetzt über den Fluss?“

Und er antwortete halb spöttisch, halb schelmisch:

„Über die Brücke.“

Und ich dachte nur:

„Du Arschloch!“

 

Ein paar Minuten später begegneten wir uns nochmal vor dem Gebäude. Er hatte offenbar irgendwas im Büro vergessen. Er sprach mich an:

„Wo steht denn Ihr Wagen?“

Ich antwortete ihm spontan:

„Auf der Straße.“

Und damit ließ ich ihn stehen.

Das fand er gut. Er hatte mich getestet, und ich hatte bestanden.

 

Der Workshop war vergleichsweise schwierig, weil einige recht konfliktbeladene Themen zur Sprache gebracht werden mussten, um mit dieser Abteilung voranzukommen. Direkt drauflos, wie das so meine Art ist, führte ich durch diesen Workshop, und er wurde ein voller Erfolg. Wer mit mir zusammenarbeitet muss damit klarkommen, dass ich die Dinge anspreche und beim Namen nennen. Diese Abteilung und ihr Chef kamen damit klar.

 

Der Abteilungsleiter wurde in sehr kurzer Zeit zum Bereichsleiter befördert und führte bei uns im Konzern auf einmal die komplette Baufinanzierung. Und wie es so seine Art war, hatte er mit diesem Bereich wirklich großes vor. Er wollte die Baufinanzierung ganz groß aufziehen. Der Umsatz sollte in zwei Jahren vervierfacht werden. Eine Milliarde D-Mark. Das war mal eine klare Ansage!

Der Bereichsleiter fragte bei mir an, ob ich ihn mit strategischen Workshops und persönlichem Coaching auf diesem Weg unterstützen könnte. Ich hatte nichts dagegen. Narzissten zu coachen ist anspruchsvoll aber nicht unmöglich. Und strategische Workshops mache ich sehr gerne.

 

Bei solchen Workshops kommen alle Führungskräfte des Bereichs für zwei Tage zusammen, um die langfristige Entwicklung des gesamten Bereichs in Arbeitsgruppen zu besprechen und Aktionspläne zu entwickeln. Das ist eine schwierige und sehr intensive Arbeit. Aber wenn solche Workshops erfolgreich sind, dann kann das den ganzen Bereich regelrecht mitreißen und eine sehr große und nachhaltige Dynamik entfalten. 

 

Ich bat den Bereichsleiter dann immer, am Anfang der zwei Tage vor versammelter Mannschaft (ungefähr 20 Führungskräfte) ein Impulsreferat zu halten, bevor ich die Gruppen aufteilte und die Arbeitspakete zuordnete. Direkt beim ersten Workshop hatte ich einen spontanen Einfall und fragte den Bereichsleiter, ob ich ihn ansagen dürfte. Er hatte keine Ahnung, was ich vorhatte (ich auch noch nicht), aber er fühlte sich geschmeichelt und nickte und ging nochmal seine Notizen durch.

 

Ich trat vor die Gruppe und bat mit einer ausdrucksstarken Geste um Ruhe.

Es wurde sehr still im Raum, und ich wurde sehr erwartungsvoll angeschaut. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen würde, aber ich konnte mich darauf verlassen, dass meinen Kleinen schon was einfallen würde. Und so sagten wir nach kurzem Zögern:

 

„Über unseren nächsten Gast brauche ich Ihnen wirklich nicht viel zu sagen. Sie kennen ihn alle. Sie schätzen ihn alle. Er ist ein vielgefragter Sprecher bei solchen Gelegenheiten, und tatsächlich hat er mir vorhin anvertraut, dass ihn neulich sogar Prinz Charles und der Papst in solchen Sachen schon um Rat gefragt haben. Lange Zeit war er hier in Deutschland gar nicht mehr zu hören. Seine vielgestalten Aufgaben führten ihn auf eine lange Tournee durch Europa, Skandinavien, die USA sowie Australien und Ozeanien wo er in ausverkauften Häusern begeistert gefeiert wurde. Sein Ruf eilt ihm voraus, sein Name ist wie Donnerhall. Und wie gesagt – es ist fast unmöglich, ihn zu bekommen. Umso mehr bin ich sehr froh in heute hier zu haben - begrüßen Sie mit mir gemeinsam unsere Spitzenführungskraft, den unvergleichlichen Herrn [Name], Applaus! Applaus!“

 

Bei den letzten Worten erhob ich deutlich meine Stimme und wirbelte mit den Armen durch die Luft, wie ich es von Kermit dem Frosch in der Muppet-Show so häufig gesehen hatte. (Ich hatte wirklich einen ausgewachsenen Furz im Hirn). Dann ging ich an der Seite von der Bühne runter.

 

Aber meine Ansage zündete. Es gab wirklich heftigen Applaus und mit Blicken, die abschätzen sollten, ob ich eigentlich noch ganz dicht sei, kam der Bereichsleiter auf die Bühne und hielt sein Impulsreferat.

 

Diese Art der Ansage wurde dann zum festen Bestandteil dieser Workshops, die wir einmal im Jahr durchführten.

 

Der Bereich wurde unter der Leitung dieser Führungskraft sehr erfolgreich und in kürzester Zeit verdoppelte sich die Zahl der Mitarbeiter. Das machte diese Workshops noch anspruchsvoller, denn jetzt ließen sich diese Veranstaltungen nur noch stemmen, wenn ich von weiteren Moderatoren unterstützt wurde. Aber woher nehmen und nicht stehlen? Moderatoren wachsen ja nicht auf Bäumen, und ich hatte keine Mittel, um extern irgendwelche Unterstützung zuzukaufen.

 

Also ging ich Risiken ein und begann, Praktikanten als Moderatoren einzusetzen. Ich führte damals die Praktikanten bei uns im Ressort, und die fähigsten unter ihnen schulte ich in Moderation und nahm sie in kleinere Workshops mit, die ich durchführte und ließ sie dort auch ganze Passagen alleine moderieren, damit sie sich unter meiner Leitung mal ausprobieren konnten.

 

Dabei tat sich eine Frau hervor, die später als Psychologin eine steile Karriere gemacht hat. Ich nahm sie mit zu einer zweitägigen Teamentwicklung am anderen Ende der Republik. Und diese Teamentwicklung hatte es wirklich in sich: Aus dem Zusammenschluss zweier Konzerne war eine Abteilung hervorgegangen, die sich zu jeweils der Hälfte aus Mitarbeitern der beiden Konzerne zusammensetzte. Diese beiden Hälften verstanden sich aber überhaupt nicht, weil sie aus zwei sehr unterschiedlichen Unternehmenskulturen stammten. Und falls ihr sowas noch nie erlebt habt, lasst es euch gesagt sein:

Interkulturelles Konfliktmanagement in Gruppen gehört zum Schwierigsten, was es in diesem Metier überhaupt gibt.

 

Zwei Tage lang mühte ich mich mit dieser Gruppe redlich ab, aber das Ergebnis stellte niemanden zufrieden. Vielleicht hatte ich nicht die richtigen Ansätze gewählt, vielleicht hatte ich die relevanten Verhaltens- und Kommunikationsmuster nicht erkannt – ich habe es nie erfahren. Ich war frustriert und um einige Erfahrung reicher, als ich wieder in der Konzernzentrale ankam.

 

Ich bat die Praktikantin, die an diesen beiden Tagen nur beobachtet hatte, für den übernächsten Tag zur Manöverkritik. Sie sollte sich einen Tag lang Gedanken machen und mir dann berichten, wie sie diesen Workshop erlebt hatte und was ich hätte besser machen können.

 

Zum vereinbarten Termin kam die Praktikantin in mein Büro und brachte etliche Blätter DIN A 4 mit. Sie hatte sich umfangreiche Notizen gemacht. Als sie anfing, mir zu erklären, wie sie den Workshop erlebt hatte, war ich verblüfft:

Sie hatte den Verlauf der Kommunikation grafisch erlebt und zusammengefasst. Ich bekam einen Haufen Linien und Kurven zu sehen, die den Verlauf des Workshops veranschaulichten. Spiralen zeigten an, wo die auftraggebende Führungskraft sich in Monologen im Kreis gedreht hatte, gezackte Linien zeigten an, wo sich der Unmut der Mitarbeiter aufgeschaukelt hatte – und so weiter.

 

Ich war verblüfft - diese Kurven und Linien folgten keinem mir bekannten System, aber sie waren sehr anschaulich und unmittelbar einleuchtend.

„Erklären Sie mir, was ich hier sehe“, bat ich sie.

Sie erklärte es mir, und am Ende ihrer Ausführungen sagte ich ihr:

„Warum haben Sie niemandem gesagt, dass Sie so gut sind?“

 

Diese Praktikantin wollte sich in Workshops ausprobieren und ich konnte ihr Gelegenheiten dafür schaffen. Sie stellte sich sehr geschickt an und überzeugte immer wieder durch ihren Mut, in schwierigen Situation etwas zu riskieren und es einfach mal drauf ankommen zu lassen.

 

Dann kam wieder die Zeit, wo der strategische Workshop mit der Baufinanzierung anstand. Ich führte die vorbereitenden Gespräche mit dem Bereichsleiter und seinen Abteilungsleitern. Das, was wir gemeinsam erarbeiteten, war das Konzept für einen Workshop, in den mehrere kleinere Workshops integriert waren.

Ich sagte den Führungskräften:

„Dafür brauche ich noch einen zweiten Moderator neben mir.“

Der Bereichsleiter in seiner spöttisch-schelmischen Art fragte mich:

„Trauen Sie sich das alleine nicht mehr zu?“

„Im Gegenteil – ich will die Anforderungen an Sie erhöhen. Ich werde jemanden mitbringen, der ein echtes Nachwuchstalent ist. Und Sie werden schauen müssen, ob Sie dem gewachsen sind.“

„Wie, ob ich dem gewachsen bin?“

„Nun, diese Frau ist nicht nur blitzgescheit, sie sieht auch noch unheimlich gut aus. Und dann ist es an Ihnen zu beweisen, ob es stimmt, was man immer sagt, dass erfolgreiche Männer besser gucken als denken können.“

„Sie meinen, ich hab‘ dann nur noch Augen für das Mädchen, das Sie da mitbringen?“

„Ich meine, dass Sie dann beweisen können, was für eine Art von Mann Sie wirklich sind. Bei diesem Workshop werden Sie wirklich stark sein müssen.“

(Und so weiter)

Wie gesagt – ich arbeite gerne mit Narzissten zusammen.

 

Wieder in meinem Büro angekommen bat ich die Praktikantin zu mir. Sie setzte sich zu mir an den Schreibtisch und schaute mich erwartungsvoll an.

„Es gibt Arbeit“, sagte ich ihr und deutete auf den dicken Leitz-Ordner, auf dem „Baufinanzierung stand.

„Ah, steht jetzt dieser Workshop für den Herrn [Name] an?“

„Exakt. Und es wird noch anspruchsvoller als beim letzten Mal. (Wie könnte es auch anders sein?). Mit einem Wort: Wir werden in zwei Teams arbeiten – ich werde zwei Praktikanten als Moderatoren mitnehmen und führen, und Sie werden zwei Praktikanten als Moderatoren führen. Insgesamt schlagen wir da zu sechst auf.“

„Ich soll zwei Kollegen führen?“

„Ja, Sie. Sie können das, und ohne Sie kriegen wir das hier nicht gewuppt.“

„Und wen soll ich mitnehmen?“

„Suchen Sie sich die aus, die Sie wollen. Schulen Sie sie, weisen Sie sie in das Konzept ein, und am 28. September geht’s dann los. Zwei Tage im Hotel [Name].“

„Und wie genau sieht dieses Konzept aus?“

Ich zeigte es ihr.

 

Der Bereich „Baufinanzierung“ war mit den Jahren riesengroß geworden. Gefühlt waren dreißig Führungskräfte da. Und mittendrin zwei kleine Moderatorenteams, die das alles steuern und koordinieren sollten. So ein Arbeitstag begann für uns Moderatoren um 07:00 in der Frühe mit einer ersten Besprechung und endete nachts um 22:00 mit dem Abschluss der Vorbereitungen für den nächsten Tag. Pausen gab es für uns nicht - nicht eine einzige. Wie gesagt – ziemlich anspruchsvoll das Ganze. 

 

Im Verlauf des ersten Tages fand ich immer wieder die Zeit, mich mal kurz davonzustehlen und zu schauen, wie es bei meiner „second in command“ aussah. Aber diese Frau hatte das alles sehr gut im Griff. Die Moderatoren, die sie führte, schienen zufrieden und erfolgreich zu sein. Und auch die Führungskräfte, die ich befragte, signalisierten mir: „Zehn von zehn möglichen Punkten.“ Fast die ganze Zeit liefen sechs Workshops parallel – ein wirklich dickes Brett.

 

Am Ende des zweiten Tages war es meine Aufgabe als Chefmoderator, den Verlauf der Tage nochmals kurz zu skizzieren und zu erläutern, wie mit den Ergebnissen verfahren werden würde. Nach mir sprach immer der Bereichsleiter das Schlusswort, der die konkreten Workshopergebnisse zusammenfasste und sagte, wie zufrieden oder unzufrieden er mit den Ergebnissen war.

 

Alle saßen wieder zusammen im Plenum, alle waren abgearbeitet und müde.

Ich ging nach vorne auf die Bühne und hörte den Bereichsleiter halblaut in die Stille murmeln:

„Und hier kommt Kermit, der Frosch!“

So kam es, dass ich in einer Welle von Gelächter vorne auf der Bühne ankam.

Als das abgeebbt war, fasste ich kurz zusammen, welche Aufgaben und Fragestellungen die Gruppen bearbeitet hatten, und wie das jetzt weitergehen würde – das übliche eben. Dann setzte ich mich wieder zu den anderen.

 

Nun ging der Bereichsleiter nach vorne und fasste die Ergebnisse zusammen. Er kam auch auf die Moderatoren zu sprechen:

 

„Herr Stiller hat mit seinem Team wie üblich souverän und gekonnt diese Tagung geleitet“, fing er an und bekam wieder diesen schelmisch-spöttischen Blick. „Am Anfang hätte er seine Kermit-Sache zwar etwas besser akzentuieren können, aber ich glaube, unsere Tagung ist Dank ihm wieder ein voller Erfolg geworden.“ Es gab Applaus.

 

Dann fuhr er fort:

„Womit mich Herr Stiller diesmal aber wirklich überrascht hat, war das Team, das er diesmal zusammengestellt hat. Wir kennen das ja schon, dass er sich immer wieder mal von jungen Talenten begleiten und assistieren lässt. Aber diesmal war es wirklich ungewöhnlich. Er hat mir vor dem Workshop gesagt, dass er einen Nachwuchsstar mitbringen wird, aber er hat mir nicht gesagt, wie gut diese Frau sein würde. Und so darf ich jetzt mal Frau [Name] zu mir auf die Bühne bitten.“

 

Die Praktikantin saß unten im Plenum und schaute ungläubig. Sie legte sich die Hand auf die Brust und blickte sich fragend um. Als sie dann aber merkte, dass das wirklich ernst gemeint war, stand sie auf und ging nach vorne. Der Bereichsleiter hielt eine regelrechte Laudatio auf sie und es gab sehr viel ernst gemeinten und freundlichen Applaus für sie. Dann schenkte er ihr einen riesigen Teddybären. Keine Ahnung, wo er den in dieser Einöde aufgetrieben hatte. Noch mehr Applaus. Die Praktikantin drückte diesen Teddybären in ungläubiger Freude an sich, so wie ein Kind, das auf einer Kirmes den Hauptgewinn bekommen hat. Sie hatte Tränen in den Augen.

 

Ein paar Tage später machten die Praktikantin und ich Manöverkritik in meinem Büro. Wir gingen diese beiden Tage nochmal durch und schauten kritisch auf die Abläufe und die erzielten Ergebnisse. Was war gut gelaufen, was war weniger gut gelaufen? Hatte es kritische Situationen gegeben? Was hätte man besser machen können? Was hatten wir aus diesen beiden Tagen gelernt?

 

Für die Praktikantin war das ein Großereignis gewesen. Ich hatte sie mit einer Aufgabe betraut, die Praktikanten normalerweise nicht bekommen. Sie hatte Führungsaufgaben gemeistert und war von einer ranghohen und wichtigen Führungskraft sehr gelobt worden. Sie ging immer noch wie auf Wolken. Ich sagte ihr:

 

„Sie sind ein außergewöhnliches Talent, und ich denke, dass Ihnen nach ihrem Diplom sehr viele Türen offenstehen werden. Da Sie sehr ehrgeizig sind, werden Sie es wirklich weit bringen.“

Sie strahlte wie eine kleine Sonne und sagte nichts.

Ich fuhr fort:

„Aber geben Sie auf diesem Weg auf sich Acht. Sie haben die Disposition, süchtig nach Erfolg und Anerkennung zu werden. Es spricht überhaupt nichts dagegen, beruflich erfolgreich zu sein und dafür anerkannt zu werden. Was anderes ist es aber, wenn man nicht arbeitet, um Ergebnisse zu erzielen, sondern um Lob und Anerkennung zu bekommen. Das kann bei Menschen wie Ihnen zu einer suchtartigen Abhängigkeit führen. Sie leisten und leisten und leisten und leisten und verlieren dabei jedes Maß und jede Grenze, weil sie immer auf der Jagd nach dem nächsten Kick, nach der nächsten Anerkennung sind. Erfolg und Anerkennung können high machen. Aber im Endeffekt unterscheidet sich diese Sucht nicht von anderen Süchten. Sie ist genauso zerstörerisch. So eine Sucht lässt nur ausgebrannte Wracks zurück. Und ich wünsche Ihnen, dass Sie erfolgreich werden und all Ihre Potenziale entfalten können. Sie werden dabei viel besser sein als ich und auch viel weiter kommen. Ich müsste mich sehr irren, wenn’s nicht so wäre.

 

Aber als Entwicklungsaufgabe sehe ich bei Ihnen Ihr Suchtpotenzial. Ich wünsche Ihnen, dass Sie erfolgreich werden und dabei gesund bleiben. Das geht beides. Es liegt an Ihnen, ob Sie das erreichen werden.“

 

Heute arbeitet diese Frau sehr erfolgreich als ranghohe Führungskraft in einem riesigen Konzern. Mit welchem Erfolg sie an ihrer Entwicklungsaufgabe gearbeitet hat, weiß ich aber nicht, weil wir uns schon viele Jahre nicht mehr gesehen oder gesprochen haben.

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Kommentare: 7
  • #1

    Murmur (Montag, 30 Mai 2022 16:50)

    <<Dann schenkte er ihr einen riesigen Teddybären. Keine Ahnung, wo er den in dieser Einöde aufgetrieben hatte.<<

    Ich schon. Den hat er sich besorgt gleich nachdem du ihm mit ihr gedroht hast, Stiller.
    Das war ein geplanter Auftritt.

    Einer erwachsenen, klugen und offensichtlich kompetenten Frau, welche gerade eine Superperformance abgeliefert hat, in aller Oeffentlichkeit ein Kinderspielzeug zu schenken, ist degradierend und sexistisch. Hätte er dem einem erwachsenen, klugen und offensichtlich kompetentem Mann überreicht, welcher gerade eine Superperformance abgeliefert hat, hätte er sich bis auf die Knochen blamiert.
    So aber hat er dich und "deine Waffe an der er sich bewähren sollte" klein gemacht.
    "Das hat die süsse Kleine aber gut gemacht".

    Zu ihr:
    Ich vermute, sie hat gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Gelächelt und sich vermeintlich bescheiden unter euch gestellt. Als erfolgreiche und kluge Frau lernt man in der Regel bereits ab dem 15. Lebensjahr die kleinen und grossen Demütigungen von seiten des männlichen Geschlechts zu erkennen. Sie kommen immer von denen, welche einem das Wasser nicht reichen können. Auch die unzählichen Versuche, dich zu instrumentalisieren und zu manipulieren, werden dir nach und nach klar. Bis zum Ende des Studiums und in der Zeit der Praktikas hast du als Frau diesbezüglich schon so viel Abartiges erlebt, dass du inzwischen in den allermeisten Fällen in der Lage bist, den Anschein zu erwecken, souverän durch all diese männlichen Superegos durchzusegeln. Denn wenn du diese Armseligkeiten persönlich nimmst, bist du geliefert.
    Deine Unterstellung beispielsweise (das kann bei Menschen wie Ihnen zu einer suchtartigen Abhängigkeit führen) ist mehr als unverschämt.

    Fazit:
    Du wolltest ihn vorführen.
    Er hat dich vorgeführt.

    Alle beide wolltet ihr sie klein machen ...

    Traurig.




  • #2

    Stiller (Dienstag, 31 Mai 2022 00:03)

    Wir bedauern, was du erlebt hast, und welche Schlüsse du daraus gezogen hast.
    Was du erlebt hast und welche inneren Beschlüsse du gefasst hast, hat nichts mit unserem Text oder den Ereignissen, von denen wir in ihm berichten, zu tun.

  • #3

    Peter (Sonntag, 05 Juni 2022 09:27)

    Sagen wir mal, Stillers gesammeltes Werk ist einen grossen Teddy wert.
    Der Witz an der ganzen Geschichte soll sein, erfolgreichen Leuten Sucht zu unterstellen. Dazu gibt es einen kleinen Clown zum aufziehen dazu!
    Ist es Neid? Sehe ich hier auch narzisstische Tendenzen?

    Gruss, Peter

  • #4

    Stiller (Sonntag, 05 Juni 2022 10:52)

    Faszinierend, was gerade in diesen Text hineininterpretiert wird, obwohl es da nicht steht.

    Es gibt keinen "Witz" an der Geschichte.
    Wir erleben es in unserer Arbeit sehr häufig, dass uns sehr erfolgreiche Menschen um coachende Begleitung bitten. Sie sind über 50 und haben - wie man so schön sagt - "alles erreicht". Und doch haben sie nichts. Sie sind innerlich leer und völlig verarmt. Wenn sie uns ihre Erfolge schildern, fragen wir sie häufig:
    "Wenn man all diese Erfolge von dir abzieht - was bleibt dann von dir übrig?"
    Eine andere Fragestellung ist:
    "Hast du den Erfolg oder hat der Erfolg dich?"

    Der Frau, von der wir hier schreiben, haben wir nichts unterstellt. Wir haben über die Jahre zahlreiche Gespräche mit ihr geführt, in denen wir abklärten, was ihre Lebensziele waren und aus welchen Gründen.

    Wir haben sie darauf hingewiesen, dass sie die innere Disposition hatte, sich zu so einer "Erfolgsmaschine" zu entwickeln.

    Wenn du am Ende deines Berufslebens feststellst, dass du "alles erreicht" hast, aber trotzdem innerlich leer und verarmt bist, dann ist das ein erschütterndes und wirklich schwerwiegendes Erlebnis. Das kann zu schweren Depressionen und Suizidimpulsen führen. Die meisten Menschen, die in so einer Situation zu uns kommen, sehen sich selber inmitten der Trümmer ihres vergeudeten Lebens. Sie stehen völlig verzweifelt und ratlos - innerlich - buchstäblich vor dem Nichts. Wenn wir als Coach dazu beitragen können, dass ein solche existenzielle Not verhindert wird - ohne durch eine andere ersetzt zu werden -, dann tun wir das.

    Wir begleiten auch heute coachend junge Talente, denen wir zutrauen, Vorstand zu werden. Bei jedem dieser Talente ist immer auch Thema: "Wo willst du hin, und aus welchen Gründen willst du das?"
    Wenn du versuchst, durch Erfolge Defizite in deinem Inneren zu kompensieren, dann kann das sehr gefährlich sein - für dich und für deine Umwelt.

    Wenn wir uns anschauen, womit andere Businnes-Coaches werben, stellen wir regelmäßig fest, dass sie ihr Augenmerk darauf legen, wie ihre Klienten erfolgreich werden können. Wir legen darüber hinaus das Augenmerk auf den Preis, der für den Erfolg zu zahlen ist. Jeder Erfolg, den du hast, hat einen Preis. Welchen Preis bist du für welchen Erfolg bereit zu zahlen, und aus welchen Gründen bist du das? Ohne diese Klärung scheint uns die Arbeit am Erfolg anderer nicht redlich.

    Im Englischen sagt man:
    "You spot it - you got it."
    Wenn du Neid und narzisstische Tendenzen in diesem Text erkennst, dann deshalb, weil dieser Neid und diese narzisstischen Tendenzen in dir sind. Wären sie nicht in dir, wärst du nicht in der Lage, sie zu erkennen.

  • #5

    Peter (Montag, 06 Juni 2022 13:46)

    Schön, Stiller.

    Zum letzten Absatz zuerst: Du siehst doch auch einen Narzissten in deinem damaligen Vorgesetzten laut deinem Text. Ist es, weil du selber einer bist? Oder ist es, weil du ein Genie bist?
    Zu mir: ich habe narzisstische Tendenzen, definitiv ja. Du auch?
    Ob ich in der Lage bin, sie bei dir zu erkennen: Man muss lesen: Ich habe gefragt, ob ich sie erkenne, ich habe es nicht behauptet, dass ich sie erkenne. Ich formuliere nun präziser: Ich glaube, sie zu erkennen. Kann es aber aus der Ferne nicht beweisen. Ich habe Indizien gesammelt aus deinen verschiedenen Blog-Beiträgen. Denkst du, ich habe recht?
    Ein typischer Mechanismus, den ich bei dir auch erkenne: Wenn man dir schmeichelt, antwortest du. Wenn man dir widerspricht, antwortest du genau dann, wenn du dich überlegen fühlst. Wenn man dir widerspricht, du es aber formal nicht widerlegen kannst, kriegt man keine Antwort.

    Ich bin mal neugierig, ob ich diesmal eine Antwort kriege.

    Gruss, Peter.

  • #6

    Stiller (Montag, 06 Juni 2022 15:40)

    Du schreibst:
    "Man muss lesen: Ich habe gefragt, ob ich sie erkenne"
    Ich habe keine Möglichkeit, eine belastbare Aussage darüber zu machen, was du erkennst und was nicht.

    Du schreibst:
    "Ich habe Indizien gesammelt aus deinen verschiedenen Blog-Beiträgen. Denkst du, ich habe recht?"
    Das kann ich nicht beurteilen. Es scheint mir auch nicht wichtig zu sein. Wenn es dir wichtig ist: Bitte sehr.

    Ich habe mich in den letzten Monaten intensiver in die Materie "Narzissmus" eingelesen und denke mittlerweile, dass dieses Konzept, so, wie es von vielen Menschen gefasst wird, nicht geeignet ist, um Wirklichkeit zu beschreiben. Wenn ich mir anschaue, was alles narzisstisches Verhalten und Erleben ist, und welche Spielarten des Narzissmus mittlerweile beschrieben worden sind, dann scheinen mir 30% der Bevölkerung narzisstisch zu sein. Mit einem so unscharfen Instrumentarium kann ich nichts anfangen.

    Und in meiner Welt gilt: Ob du jetzt Narzisst bist oder nicht - wen kümmert's? Ich sehe in drei Fällen Handlungsbedarf:
    a) Selbstgefährung
    b) Fremdgefährdung
    c) Leidensdruck.
    Wenn das nicht gegeben ist, darf in meiner Welt jeder Narzisst sein, wie er will, mich kümmert's nicht.
    Und ob ich selber Narzisst bin oder narzistische Tendenzen habe - das zu klären überlasse ich denen, denen das wichtig ist. Ich habe andere Prioritäten.

  • #7

    Peter (Montag, 22 August 2022 13:25)

    Frage: Pissen dich meine Antworten und Rückfragen an? Dann lasse ich es künftig.
    "
    Und ob ich selber Narzisst bin oder narzistische Tendenzen habe - das zu klären überlasse ich denen, denen das wichtig ist. Ich habe andere Prioritäten. "

    Bei deinem Ex-Vorgesetzten scheint es aber eine höhere Priorität gehabt zu haben? So hoch, dass es hier noch ausdrücklich erwähnt werden muss. Du sagst doch oft über andere, dass sie sich nicht für sich selbst interessieren.
    Kannst mit so einer unscharfen Eingrenzung nichts anfangen, benutzt sie aber selber?

    Ich will dich nicht ärgern.