Nichts für schwache Nerven

Haben Sie starke Nerven?

Gehören Sie zu den Menschen, die mit Fug und Recht von sich behaupten können, „Nerven aus Stahl“ zu haben?

Sind Sie wahrhaft unerschütterlich?

Können Sie ohne mit der Wimper zu zucken auch in wirklich gefährlichen Situationen bestehen?

Ist Angst für Sie ein Fremdwort?

 

Wenn ja:

Ich beglückwünsche Sie. Sie sind sehr wahrscheinlich ein Held!

Aber dieser Text ist nichts für Sie.

Vermutlich ist es besser für Sie und für Ihr Selbstbild, wenn Sie was anderes lesen.

 

Nerven aus Stahl, ja, ja.

Und nur was für starke Nerven – wie oft lese oder höre ich von solchem Unsinn.

 

Zunächst mal:

Ich denke, dass wir uns einig sind, dass du tot bist, wenn du Nerven aus Stahl hast. Dein zentrales Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) und dein peripheres Nervensystem (die Nerven im restlichen Körper) können ihrer Hauptfunktion, der sogenannten Erregungsweiterleitung, nicht mehr nachkommen, und du fällst von einer Sekunde auf die andere tot um. Bumms.

 

Aber nehmen wir das mal im übertragenen Sinne:

Was bedeutet es, wenn man von jemandem sagt, dass er starke Nerven hat oder Nerven aus Stahl?

 

Vordergründig scheint das zu bedeuten, dass dieser Mensch deutlich weniger Angst hat als die Normalbevölkerung. Vielleicht ist er sogar völlig angstfrei.

 

Auch das lässt sich zweifach betrachten:

 

Zunächst mal:

Angst ist ein Gefühl, das lebensnotwendig ist. Wenn du ein Mensch bist, der keine Angst kennt und du immer noch am Leben bist, dann ist es vermutlich sinnvoll, dass du jetzt schon deinen Nachlass regelst und dafür sorgst, dass das Geld für deine Beerdigung beisammen ist, damit du anderen nicht zur Last fällst, wenn du das Zeitliche segnest.

 

Denn Angst ist ein auf die Zukunft gerichtetes Gefühl (im Gegensatz zur Trauer, die ein auf die Vergangenheit gerichtetes Gefühl ist). Es hat die Funktion, uns vor nahender Bedrohung zu warnen und uns körperlich vorzubereiten, die nötigen Maßnahmen zu treffen, die unser Überleben sichern. In aller Regel bereitet uns Angst körperlich für diese drei Reaktionen vor:

a) Flucht

b) Einfrieren

c) Kampf.

 

Das ist evolutionär gesehen sinnvoll.

In den meisten gefährlichen Situationen ist vermutlich das Ausweichen oder Davonlaufen die beste, bzw. lebenserhaltendste Reaktion.

Man sagt zwar, dass der Mutige nur einen Tod stirbt, der Feigling aber tausend Tode. Das wird jedoch irrelevant vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in wirklich ernsten Situationen der Mutige häufig sofort stirbt und der Feigling meist noch Jahrzehnte zu leben hat.

 

Auf der anderen Seite:

Das Gefühl der Angst geht immer einher mit ganz bestimmten körperlichen Reaktionen. Deine Sinne werden sensibilisiert, um möglichst alle Aspekte der drohenden Gefahr aufnehmen zu können: Deine Pupillen weiten sich, dein Gehör wird schärfer, und so weiter.

Dein Herz schlägt schneller, deine Muskeln werden mit Energie aufgeladen, gleichzeitig wird Energie aus dem Verdauungsapparat abgezogen und in die Muskulatur umgeleitet. Allmählich ist alles bereit für Flucht, Kampf oder Einfrieren.

 

Wenn man mit psychophysiologischen Methoden Menschen untersucht, die von sich sagen, dass sie deutlich weniger ängstlich sind als andere Menschen, dann macht man folgendes:

 

1

Man schließt sie an einen Haufen Messinstrumente an, die all die Körperreaktionen aufzeichnen, die mit Angst typischerweise einhergehen.

 

2

Dann setzt man sie ängstigenden Situationen aus. Meist werden ihnen dafür Filme gezeigt.

 

3

Dabei zeichnet man ihre Körperreaktionen auf und bittet sie gleichzeitig, subjektiv einzuschätzen, wie ängstlich sie gerade sind.

 

In aller Regel führen solche Experimente zu dem Ergebnis, dass diese Menschen die gleichen Körperreaktionen zeigen wie alle anderen Menschen auch, dass sie aber die Angst, die sie haben, nicht empfinden können. Sie zeigen körperlich alle Symptome von Angst. Gleichzeitig sagen sie: „Ich habe keine (nur wenig) Angst.“

 

Anders ausgedrückt:

Menschen, die von sich sagen, nicht ängstlich zu sein oder keine Angst zu haben, sagen damit in aller Regel aus:

Ich kann meine Angst weder spüren noch ausdrücken.

 

Was passiert mit dir, wenn du zwar Angst hast, diese aber nicht spüren und ausdrücken kannst?

Das führt dazu, dass die körperlichen Begleiterscheinungen der Angst in deinem Körper steckenbleiben und dort ihr Unwesen treiben.

Im Allgemeinen wird das als „Sress“ bezeichnet.

Und tatsächlich ist es in den meisten Kulturen sozial anerkannter zu sagen:

„Ich steh‘ wahnsinnig unter Stress!“ als zu sagen:

„Ich hab‘ wahnsinnige Angst!“

 

Nochmal und in Zeitlupe:

Stress und Angst sind nicht dasselbe. Aber fast immer lässt sich bei Menschen, die ihre Angst nicht wahrhaben wollen (oder können), feststellen, dass sie körperliche Symptome zeigen, die auf eine starke Überlastung durch Stress zurückzuführen sind. Wenn das chronisch wird, dann führt das mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem frühen Tod.

 

Wenn du starke Nerven hast oder sogar Nerven aus Stahl, dann ist es also sehr wahrscheinlich, dass dieses gilt:

Du bist in Wirklichkeit gar kein Held, sondern ein armer Wicht, der seine Angst weder wahrhaben noch empfinden noch ausdrücken kann. Du hast mindestens genauso viel Angst wie alle anderen auch, aber Feigheit oder Unfähigkeit hindern dich daran, das zuzugeben und zu erleben. Als Folge ist es sehr wahrscheinlich, dass du deutlich vor deiner Zeit sterben wirst, und vorher ein eher fades und flaches Leben geführt haben wirst.

 

Und diese Aussicht auf so ein deutlich zu kurzes und darüber hinaus vergeudetes Leben ist tatsächlich nichts für schwache Nerven.

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Kommentare: 1
  • #1

    Peter (Sonntag, 05 Juni 2022 08:52)

    Hallo Stiller,

    Viel Vermutungen, wenig bewiesen. Wenn dann "armer Wicht" geschrieben wird, ist es klar, dass dieser Text nicht wissenschaftlich ist, sondern esoterisch. Weitere Beispiele möglich, darauf will ich aber nicht hinaus.

    Natürlich ist Angst ein wichtiger Mechanismus, um zu überleben. Aber nicht, wenn eine Angst irrational ist, z.B. wenn ich weiss, dass es ein Film ist und die Szene gestellt ist. Möglich, dass gewisse Körperreaktionen ähnlich ablaufen, aber man sollte sich auf die Ströme konzentrieren, die anders sind bei denen, die keine Angst haben ("nicht spüren, sich der Angst nicht bewusst sind" Ironie: on).
    Auch sind manche Ängste einfach Phobien. Ich gehe einmal davon aus, dass einer, der sie nicht hat, anders reagiert als einer, der sie hat. Dass Phobien die Lebenserwartung erhöhen, ist eine interessante Hypothese, die noch genauerer Untersuchunbgen bedarf.
    Man hat also gewisse Körperreaktionen bei Filmen oder auch weiteren Situationen gemessen. Kannst du eine Studie zitieren? Ich glaube durchaus, dass es so was gibt. Interessant wäre, wenn danach wirklich weiter Buch geführt worden wäre über die Krankenakte und die Lebensdauer der Testpersonen, um es irgendwie zu belegen, dass Leute mit "Nerven aus Stahl" angeblich eine kürzere Lebenserwartung haben.

    Was ich in deinen Beiträgen öfter erkenne: So eine Art moralische Pflicht, gewisse Emotionen zu fühlen. Und eine Abwertung derer, die sie nicht fühlen. Da bist du aber auf einer Linie mit vielen NTs. Als Beispiel muss man Angst vor dem Virus SARS-CoV2 haben. Wer das nicht hat, ist ein "Corona-Leugner". Hingegen sind Bedenken gegen die Impfung moralisch verwerflich laut Mainstream-Konsens. Sogar Kinder, unter denen es insgesamt im Jahr 2021 keine 30 Toten gab, müssen sich gegen diese schrecklichste aller Gefahren impfen lassen. Da könnte man auch mal Versuche mit Elektroden machen, indem man den Teilnehmern Berichte vorliest.

    Interessant ist der Punkt mit der Trauer: Trauer ist in die Vergangenhzeit gerichtet, Angst in die Zukunft. Ich kann dir sagen, ich kann keine Trauer empfinden, und ich freue mich darüber (das kann ich). Angst denke ich habe ich recht rational im Griff. Echte Gefahren ja. Unklare Situationen eventuell.

    Gruss, Peter.