Reichtum

In einem Buch habe ich eine Geschichte gefunden, die sich in etwa wie folgt erzählen lässt:

 

In Indien lebte ein armer Bauer, der eines Nachts dieses träumte:

Ein wandernder Bettelmönch kam am Abend zu ihm und bat darum, ein wenig zu essen zu bekommen und später unter einem Baum in seinem Hof schlafen zu dürfen. Der Bauer gewährte ihm beides. Zum Dank schenkte ihm der Bettelmönch einen riesigen Edelstein.

Als der Bauer aufwachte, wunderte er sich und dachte, dass er da wirklich merkwürdiges Zeug zusammenträumte.

 

Aber am Abend geschah dieses:

Ein wandernder Bettelmönch klopfte an seine Tür und bat um ein wenig zu essen und um einen Schlafplatz unter dem Baum in seinem Hof.

Der Bauer wurde sofort ganz hellhörig.

Misstrauisch sagte er:

"Aber erst gibst du mir den Stein!"

"Welchen Stein denn?" fragte der wandernde Bettelmönch.

"Ja den Edelstein! Diesen riesigen Edelstein, von dem ich heute Nacht geträumt habe! Gib ihn mir!"

"Ach so, den Stein meinst du", sagte der Mönch gleichmütig und kramte in seinem Bündel. Dann holte er tatsächlich einen riesigen Edelstein hervor.

Dem Bauern fielen fast die Augen aus dem Kopf. Atemlos sagte er:

"Gib ihn mir! Gib ihn mir! Gib ihn mir!"

"Ja sicher, du kannst ihn gerne haben", sagte der Bettelmönch freundlich. "Ich habe ihn heute Mittag unter einem Baum gefunden."

Der Bauer riss dem Mönch den Stein aus der Hand und rannte zurück ins Haus, um ihn seiner Frau zu zeigen. Sie waren reich! Alle Sorgen und Nöte hatten ein Ende! Sie sangen und tanzten die ganze Nacht. Sie waren reich, reich, reich!

 

Der Mönch aß das Essen, das er bekommen hatte und schlief unter dem Baum im Hof.

Früh am Morgen brach er wieder auf und ging seiner Wege.

Er war noch nicht weit gekommen, als er merkte, dass der Bauer hinter ihm herrannte, so schnell er konnte. Der Bauer schrie schon von ganz weitem:

"Gib mir von dem Reichtum! Gib mir von dem Reichtum!"

Der Mönch begriff nicht recht und blieb stehen. Endlich hatte der Bauer ihn erreicht.

"Bitte gib mir von dem Reichtum!" sagte der Bauer keuchend. "Gib mir von deinem Reichtum!"

"Ja, aber was denn für ein Reichtum?" fragte der Bettelmönch kopfschüttelnd. "Ich habe doch nichts."

"Gib mir von dem Reichtum, der es dir möglich macht, einen so kostbaren Stein einfach so wegzuschenken!"

 

 

Warum erzähle ich davon?

 

Als ich jüngst über diese Geschichte nachdachte, fiel mir auf, dass mir in meinem ganzen Leben noch kein Mensch begegnet ist, den ich als reich empfunden hätte. Kein einziger. Oder präziser:

Vielleicht bin ich solchen Menschen begegnet, aber ich habe es nicht bemerkt.

 

Wem auch immer ich begegne – ich erlebe diesen Menschen als mindestens so arm und bedürftig wie mich.

 

Und wenn ich mir anschaue, was die Menschen in ihrem Leben anstreben und was für sie Reichtum ist, dann stelle ich fest, dass das nichts für mich ist.

 

Klar hätte ich gerne viel Geld, so ist es ja nun nicht. Soviel Geld, dass ich mir Freiheit und Stille und in Ruhe gelassen werden kaufen kann, wann immer ich das mag, so viel ich will. Deshalb – wenn ihr mir was Gutes tun wollt, schickt mir keine warmen Worte oder Selbstgehäkeltes oder was auch immer, sondern nur den blanken Zaster – am besten abgepackt in kleinen Tüten.

 

Aber Reichtum?

 

Ich schaue mir an, was die Menschen, die mich umgeben, als Reichtum erleben:

  • Beliebt und anerkannt sein bei Menschen, die wichtig sind
  • Sich treffen, austauschen, umarmen, drücken, beisammensein, plaudern, eine gute Zeit zusammen haben
  • Bewundert werden, bekannt sein, berühmt sein
  • Massenhaft Sexualpartner haben
  • Irgendwas großartiges vollbringen – Bücher schreiben, was erfinden, auf den Mount Everest steigen, den Nobelpreis gewinnen, Olympiasieger werden, einen „Fußabdruck in der Geschichte“ hinterlassen
  • Die Welt retten, und wenn das nicht geht, dann aber zumindest verwaiste Hundewelpen aus dem Südbalkan nach Deutschland holen
  • Den richtigen Menschen finden und dann für immer mit ihm zusammen sein
  • Anderen helfen
  • Sozialgeprotze – Auto, Haus, Garten, Urlaubsreisen etc.
  • Ein interessantes Leben führen, irgendwas erleben
  • Im Fernsehen erwähnt werden oder sogar dort auftreten, der Mensch sein, von dem man spricht
  • Irgendwas haben – Handy, T-Shirt, Handtasche, Auto …
  • Anderen was geben
  • Andere zu besseren Menschen machen
  • Den Garten pflegen
  • Ganz viel Wissen anhäufen
  • Teil einer Gemeinschaft sein (am besten mehrerer)
  • Alles, was verhindert, dass man alleine ist
  • Alles, was verhindert, dass es still ist
  • So ziemlich alles, was dafür sorgt, dass man von dem abgelenkt ist, was gerade ist
  • Rache und Vergeltung
  • Macht
  • Und so weiter

 

Ich schaue mir das also an, und stelle dabei ausnahmslos immer fest, dass das zwar ganz interessant sein mag. Aber in meiner Welt ist das, was für andere Reichtum ist, Falschgeld. Wenn ich den Menschen, die mich umgeben, zuschaue, habe ich den Eindruck, dass sie sich säckeweise Monopoly-Geld in ihr Leben holen, um sich reich zu fühlen. Sie geben einander Monopoly-Geld, unterhalten sich beinahe ständig über Monopoly-Geld und streben danach, tonnenweise von dem Zeug anzuhäufen.

 

Für mich ist das alles ein ziemlich bizarres und befremdliches Schauspiel. Die „reichen“ Menschen haben tonnenweise Monopoly-Geld, und für mich ist das alles nur Altpapier. Ich erlebe die „reichen“ Menschen als bettelarm. Immer. Ohne jede Ausnahme.

 

Es spricht in meinen Augen absolut nichts dagegen, Monopoly-Geld zu haben oder das toll zu finden. Aber ich will mein Leben nicht darauf konzentrieren, und vor allem will ich nicht meine kostbare Lebenszeit damit vergeuden, dieses Zeug tonnenweise anzuhäufen.

 

Immer wieder wollen mir Menschen was Gutes tun und mir was geben. Sie geben mir dann immer von dem, was für sie Reichtum ist – Monopoly-Geld. Sie geben mir Aufmerksamkeit, Lob, Anerkennung, gesprochene Worte (davon besonders viel und reichlich), sie versuchen, sich in mein Leben zu drängen und mir irgendwas aufzunötigen. Am liebsten würde ich diesen Menschen sagen:

 

„Nee, ich will nur den blanken Zaster. Leg dein Geld da auf den Tisch und verschwinde genauso schnell wie du gekommen bist (aber bitte deutlich leiser).“

Aber das sage ich nicht. Ich will die Menschen nicht vor den Kopf stoßen (Sprachbild).

 

Manchmal sage ich anderen Menschen:

„So zu leben wie du, so stelle ich mir die Hölle vor.“

Die Hölle ist für mich ein Ort, wo du dich behaglich eingerichtet hast und buchstäblich alles ist mit Monopoly-Geld ausgestopft.

 

Es ist noch niemals in meinem Leben passiert, dass ich einem Menschen begegnet wäre, bei dem ich gedacht hätte:

„Also um dein Leben beneide ich dich! Gib mir von deinem Reichtum, oder zeige mir wenigstens, wie man zu solchem Reichtum kommt!“

Noch nie!

 

Ich erlebe es so, dass ich ausnahmslos von Menschen umgeben bin, die noch ärmer und noch bedürftiger sind als ich.

 

Reichtum ist für mich:

1)  Es gibt etwas – und wenn du es erreichst, dann bist du dauerhaft zufrieden. Du bist satt. Dauerhaft satt.

2) Um das zu finden würdest du buchstäblich alles andere aufgeben. Und wenn du dafür zu Fuß dreimal um die Erde laufen müsstest – du würdest es tun. (Und wenn es sein muss, läufst du dafür auch achtmal um die Erde).

 

Das ist Reichtum. Es geht also darum, (1) sich auf das richtige zu konzentrieren. Und es geht darum, (2) buchstäblich sein ganzes Leben darauf zu fokussieren.

 

Ich bin noch nie jemandem begegnet, der so leben würde – nicht mal ansatzweise.

Immer wieder lese ich von Menschen, die zumindest (2) in ihrem Leben realisieren.

Beispiele:

 

Vor vielen, vielen Jahren lief ich bei uns im Supermarkt am DVD-Regal vorbei und war wie elektrisiert von einem Titel, den ich da las:

„Get rich or die trying.“ – Werde reich oder stirb beim Versuch es zu werden.

Ja, hier geht es um das Streben nach Reichtum. Besser kann ich es nicht definieren. Das ganze Leben wird darauf ausgerichtet.

Wobei ich sehr sicher war, dass der, um den es in diesem Film ging, mit Reichtum Dollars oder sowas meinte – Monopoly-Geld. (2) gab es also hier, aber (1) nicht.

 

Als George Harrison, Lead-Gitarrist der Beatles starb, schlagzeilte die Bild-Zeitung mit einem Zitat von ihm:

„Alles kann warten, nur die Suche nach Gott nicht.“

Das hat mich sehr berührt. Hier geht es um das Streben nach Reichtum. Besser kann ich es nicht definieren. Das ganze Leben wird darauf ausgerichtet.

Nur dass es in meiner Welt keinen Gott gibt (gar nicht geben kann – jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne) und dass es vermutlich wesentlich sinnvoller ist, ihn zu finden als ihn zu suchen.

Und einem Gott nachzujagen, den sich irgendwelche Menschen ausgedacht haben, ist in meiner Welt Monopoly-Geld.

(2) gab es also hier, aber (1) nicht.

 

Bei ungefähr 90% der Menschen, denen ich begegne, erlebe ich es so, dass sie ihr Leben nicht auf ein Ziel fokussieren. Ich habe den Eindruck, dass sie dies und das und jenes anstreben und selber gar nicht so recht wissen, wofür sie leben und was sie eigentlich wollen.

 

Die übrigen 10% erlebe ich so, dass sie ihr Leben vollkommen fokussieren und sich auf das eine Ziel ausrichten, das ihnen so viel bedeutet. Aber wenn ich mir dieses Ziel anschaue stelle ich immer dasselbe fest:

Was du da anstrebst, ist in meiner Welt Monopoly-Geld. Wenn du dein Ziel erreicht haben wirst, dann wirst du feststellen, dass du genauso hungrig, unzufrieden, rast- und ruhelos, verzweifelt und einsam bist wie vorher auch.

 

 

Also liebe Leute da draußen, ich fasse zusammen:

 

1

Reichtum ist in meiner Welt:

1)  Es gibt etwas in deiner Welt, das dich dauerhaft satt macht, wenn du es findest

2)  Du würdest buchstäblich alles in deinem Leben aufgeben, um das zu finden oder zu erreichen.

 

Gut möglich, dass viele von euch da draußen sich reich fühlen. Das sei euch unbenommen, ich habe nichts dagegen. Aber in meiner Welt zahlt man nicht mit Monopoly-Geld. In meiner Welt ist das Altpapier.

 

2

Falls ihr von mir irgendwas haben wollt – ich habe nichts zu geben. Das wenige, was ich habe, das brauche ich selber. Ich bin nicht reich.

 

3

Und falls ihr mir irgendwas geben wollt – lasst es. Ihr habt buchstäblich nichts, was ich gerne hätte oder irgendwie brauchen könnte. Alles, was ihr mir geben könnt, erlebe ich als Belastung, nicht als Bereicherung.

Außer den blanken Zaster natürlich. Den könnt ihr mir gerne geben – abgepackt in kleinen Tüten. Stellt mir die Tüten leise vor die Tür und verschwindet dann genauso leise wieder. Anklopfen oder klingeln ist nicht nötig - ich mache eh nicht auf.

 

 

Dankeschön.

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