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Das Neurotypische Syndrom 22 – Schall als Grundnahrungsmittel

Grade saß ich an meinem Laptop und schrieb an einem Text für einen Kunden. Meine Finger huschten über die Tatstatur, und es machte leise dieses typische „Tippe-di-tipp … tippe-di-klack!“ Und auf einmal machte mein Laptop deutlich lauter:

„PLING!“

 

Und das erinnerte mich daran, dass ich ja diesen Text über „Schall als Grundnahrungsmittel“ fertigstellen wollte.

 

Die Firma, für die ich arbeite, stellt mir meinen gesamten EDV- und Kommunikationskram zur Verfügung: Laptop, Monitor, Drucker, Scanner, Handy, Tablet … so ziemlich alles, was man sich in diesem Bereich denken kann, least die Firma für mich. Und alle zwei Jahre kommt ein Spezialist mit gefühlt zwei Tonnen Elektroschrott zu mir und baut mir das alles auf und richtet mir das alles ein.

 

Dann ist der EDV-Mensch wieder weg, und ich kann wieder durchatmen, weil ich wieder alleine daheim bin. Alleine daheim mit meinem komplett neuen EDV- und Elektrokram. Und der macht Geräusche. Der macht sogar ziemlich viele Geräusche. Denn er ist so voreingestellt. Er ist so voreingestellt, weil die Kunden das so haben wollen. Sie wollen, dass es ständig pling, plong und pieps macht. Denn Geräusch ist ihnen ein Grundnahrungsmittel.

 

Meine erste Amtshandlung an allen elektrischen Geräten ist daher: Ton aus!

 

Laptop, Handy, Navi, Mikrowelle, Drucker, Tablet … (fast) ausnahmslos jedes elektrische Gerät, das ich bekomme, bekomme ich mit der Voreinstellung, dass es Geräusche macht wie ein Spielautomat. Da wird geplingt und gedudelt, Dreiklänge und irgendwelches futuristisches Gepiepe … der helle Wahnsinn!

Und häufig erlebe ich es, dass es irgendwo in den Tiefen der Default-Einstellungen Routinen gibt, deren Aufgabe es ist zu verhindern, dass die Stummschaltung, die ich anordne, permanent ist. Ich fange dann also an, mit so einem stummgeschalteten Gerät zu arbeiten – und siehe da: Mindestens ein Teil der Stummschaltungen ist wieder aufgehoben. Das Gerät aktiviert seine Geräuschemacherei also hartnäckig selber.

 

Warum ist das so?

Warum werden mir diese Geräte derart dysfunktional ausgeliefert?

 

Das ist so, weil die Kunden das so wollen. Und ich habe mich bei meinen Kollegen (samt und sonders NTs) sehr intensiv umgeschaut und umgehört:

Alle – ohne jede Ausnahme – stören sich nicht daran, dass mit jedem Elektrogerät ein neuer Geräuschproduzent in ihr Leben tritt. Die meisten konfigurieren ihre Neuerwerbung auch so, dass sie geräuschvoll ist:

 

  • Wenn man im Auto den Zündschlüssel ins Schloss steckt, geht das Radio an.
  • Das Navi redet. Wenn es gerade nichts zu sagen gibt, dann redet es auch. Ich habe mir im Auto eines Kollegen original angehört: „Jetzt dem Straßenverlauf noch zweihundertsiebenunddreißig Kilometer folgen.“ Nur Minuten später: „Jetzt dem Straßenverlauf noch zweihundertdreiunddreißig Kilometer folgen.“
  • Das Handy macht sehr laute Geräusche, wenn man eine Taste drückt.
  • Das Handy macht Geräusche, wenn eine Nachricht hereinkommt oder versandt wird.
  • Der Computer macht Pling!- Plong!- und Plang!-Geräusche … beim Hochfahren, beim Runterfahren, wenn eine Mail einläuft, wenn eine Mail verschickt wird, wenn ein Programm geöffnet wird, wenn ein Programm geschlossen wird, wenn man mit der Maus irgendwohin klickt etc. etc.
  • Der Drucker macht Geräusche, wenn er angeschaltet wird. Er macht Geräusche, wenn er hochfährt. Er macht Geräusche, wenn er wieder heruntergefahren wird.
  • Und so weiter.

Für mich ist sowas buchstäblich tödlich. Es bringt mich auf Dauer um.

Die NTs schätzen solchen zusätzlichen Geräuschklimbim. Für sie ist das eine Bereicherung des Lebens, denn Schall ist ihnen ein Grundnahrungsmittel. Und ich warte auf den Tag, an dem ich Geräte bekomme, bei denen man diese Zusatzgeräusche nicht mehr abschalten kann, weil das außer mir eh niemand tut.

 

Einschub

Die wissenschaftliche Seite: Warum ist den NTs Geräusch ein Grundnahrungsmittel. Das war bei mir in meinem Studium immer wieder Thema. Verkürzt und vereinfacht lässt sich der heutige Wissensstand so wiedergeben: Stille macht NTs buchstäblich verrückt. Wenn sie nicht permanent von Geräuschen umgeben sind, nehmen sie körperlich und seelisch schweren Schaden. Warum ist das so? Das ist so, weil sie in ihrem Inneren mit deutlich mehr Wahrnehmungsfiltern ausgestattet sind als unsereins. Zu den meisten NTs dringt beinahe nichts von außen durch. Und da sie fast immer keinen oder nur sehr schlechten Kontakt zu ihrem Inneren haben, erleben sie Stille als geradezu tödliche Ödnis. Da wo es still ist, ist es für sie tot. Für mich ist das eine geradezu groteske Umkehrung der tatsächlichen Verhältnisse. Aber so erleben sie es nun mal in ihrer überwiegenden Mehrheit: Geräusch ist Leben, Stille ist Tod.

Einschub Ende

 

Kollegen von mir nehmen jetzt an Pilotprojekten teil, in denen ihr Haus mit dem Internet verknüpft wird. Das nennt sich „Smartes Haus“ oder so. Voller Stolz bekomme ich vorgeführt, wie man die Heizung im Wohnzimmer mit dem Handy von Mallorca aus regulieren kann. Ein Knopfdruck auf dem Handy, und die Jalousie fahren rauf oder runter – Einbruchschutz.

Und so weiter, und so weiter.

Ja, und das Haus redet. Ich nehme ganz sicher an, dass das die Zukunft ist, die diese Kollegen wollen: Sie wollen, dass ihr Haus permanent mit ihnen redet. Wie voll der Kühlschrank ist, dass Heizöl nachgeordert werden muss oder einfach ganz schlicht:

„Guten Morgen, Willy, wie geht’s dir heute?“

 

Für mich wäre das die buchstäbliche Hölle auf Erden. Nicht nur die NTs quatschen pausenlos auf mich ein, nein, jetzt haben sie auch noch der unbelebten Materie das Sprechen beigebracht, damit des Quatschens nie ein Ende ist. Das Haus ist nicht smart, es ist bloß nervtötend geschwätzig.

 

Zusätzliche technische Geräusche sind in der Welt der NTs eine Bereicherung. Geräusche sind für Menschen, die am Neurotypischen Syndrom leiden, ein Grundnahrungsmittel.

 

Einschub

Den NTs ist dabei nicht jedes Geräusch willkommen. Meist ist es ihnen wichtig, dass es sich um technische Geräusche handelt, denn die rühren in ihrem Inneren nichts an.

Kinderlärm ist vielen NTs sehr oft nicht lieb, obwohl es Geräusch ist. Das liegt daran, dass Kinderlärm in diesen erwachsenen NTs oft Erinnerungen auslöst, die sie lieber verdrängt lassen würden. Sie geraten in innere Not, wenn sie diesen Kinderlärm hören.

Diese Gefahr besteht bei technischen Geräuschen in aller Regel nicht.

Einschub Ende

 

Aber es sind nicht nur die technischen Geräte, die die NTs mit diesem Grundnahrungsmittel versorgen.

Sie lieben auch die Stille der Natur. Besonders im Frühling. Ich habe auf meinem Handy diverse Apps zur Schallmessung. Und wenn ich mit der Frau, mit der ich de jure verheiratet bin, bei Wanderungen in Feld und Flur unterwegs bin, dann messe ich gerne.

Und so bringen es zum Beispiel diese verdammten Schreivögel im Frühling locker auf über 75 dB(A).

Das tun sie in eher städtisch geprägten Gegenden genauso wie im Wald. Wenn die sich gegenseitig erzählen, was für großartige Ficker sie sind, und dass sie es jedem Weibchen so richtig besorgen können, und dass bloß kein Männchen es wagen soll, in ihre Nähe zu kommen (und so weiter), dann ist richtig was geboten.

 

Einschub

dB(A) (Dezibel, gemessen über den Filter A) ist ein Maß für den Schalldruck (Newton pro Quadratmeter). Der Schalldruck nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab. Deshalb müsste ich die Entfernung zur Schallquelle standardisieren, um hier Zahlen berichten zu können, die miteinander vergleichbar sind. Aber aus praktischen Gründen kann ich das nicht. Deshalb gebe ich hier immer nur den Schalldruck an, der auch bei mir ankommt.

Einschub Ende

 

Eine ausgedehnte Wiese im Wald, auf der Zikaden sich was erzählen: bis zu 85 dB(A).

Frösche in einer warmen Sommernacht im Teich, wo sie Balladen über die körperliche Liebe anstimmen: 70 dB(A).

Und so weiter.

 

An all die NTs da draußen, die die Stille in der Natur so richtig zu schätzen wissen, und sich ein Leben ohne diese Stille eigentlich gar nicht mehr vorstellen können:

Ich kann das durch Messungen belegen: Die Natur ist beinahe niemals still. Im Gegenteil – sie ist sehr laut. Das gilt besonders im Frühling. Und die herzallerliebsten Vögelein (ihr sagt „Singvögel“, ich sage „Schreivögel“), die tragen die Hauptlast dieses immerwährenden Spektakels. Und auch des Nachts: Ich habe vermutlich mehr Nächte im Freien verbracht als die meisten von euch. Ich kann euch versichern: In der Nacht macht die Natur ihre ganz eigenen Geräusche. Die sind sehr charakteristisch und ziemlich anders als die Geräusche des Tages. Aber es sind Geräusche. Die Natur in unseren Breiten ist nicht still. Beinahe niemals ist sie das.

 

Aber diese Vögel haben’s auch im Winter drauf. Wenn ich zum Beispiel im Winter tagsüber das Fenster in unserem Schlafzimmer öffne, führt das immer zu einer Reaktion in den Sträuchern vor dem Fenster:

„Gicks!“ sagt da ein Vogel.

Und ein anderer antwortet ihm: „Gicks!“

Und dazu haben natürlich auch die anderen Vögel in den Sträuchern eine Meinung – und schon geht es los:

„Gicks! Gicks! Gicks! Gicks! Gicks!”

Das kann Stunden dauern. Da kann es noch so kalt sein:

„Gicks! Gicks! Gicks!“

Diese Vögel sind alle neurotypisch.

 

Natürlich ist es in der Nacht etwas ruhiger da draußen. Aber es kann auch anders kommen.

Ich kann mich erinnern, dass ich einmal als Jugendlicher nachts alleine im Wald unterwegs war, damit es endlich mal still war. Es war Frühsommer. Ich ging abseits der Wege querfeldein und hörte außer meinem Atem und meinen Schrittgeräuschen beinahe nichts. Und auf einmal schrie mir so ein Vogel aus nächster Nähe direkt ins Ohr. Er war laut. Er war sehr laut. Ich wirbelte herum und fluchte ihn an:

„Ja, hast du eigentlich den Arsch auf?!“

Auf einem Ast neben mir saßen in Schulterhöhe zwei Eulen und erzählten sich was. Sie waren verliebt. Sie beachteten mich gar nicht. Sie schrien weiter.

Ich machte, dass ich da wegkam.

Stille in der Natur.

Ja, selbstverständlich. (Ironie).

Aber es sind ja nicht nur die Vögel in der Nacht.

Habt ihr schon mal gehört, was Rehe sich nachts im Wald so alles zusammenschreien, wenn sie verliebt sind? Da geht’s richtig zur Sache.

Auch Igel und anderes nachtaktives Kleingetier – wisst ihr eigentlich, was da an Schallemissionen geboten wird?

 

Auf der anderen Seite gibt’s aber natürlich auch sowas (das ist mir vor ca. zehn Jahren passiert):

Es ist Sommer. Es ist tiefe Nacht. Ich liege bei uns in den ausgedehnten Feldern auf einer Bank, die am Wegrand steht und schaue mir die Sterne an. Es ist ziemlich dunkel, deshalb sind die Sterne sehr gut zu sehen. Auf einmal nehme ich zwei Meter über meinen Füßen einen Schatten in der Dunkelheit wahr. Ich muss ziemlich lange schauen, bis ich begreife, dass da eine Eule (oder ein Uhu oder ein Kauz, ich kann das nicht auseinanderhalten) lautlos über mir steht und vermutlich überlegt, ob man mich fressen kann. So ruhig, wie ich da liege, könnte ich ja auch tot sein. Ich liege da, und gucke die Eule an, und die Eule weiß offenbar nicht so recht. Das geht viele Minuten so, und ich höre tatsächlich nichts von ihr. Gar nichts.

Aber irgendwann muss ich dann doch kichern, und die Eule fliegt lautlos weg.

 

Aber kommen wir zurück zu den NTs und zu ihrem Grundnahrungsmittel

 

Im Urlaub verziehe ich mich immer ins Hochgebirge, weil die Natur da karger ist und die NTs dort nicht so zahlreich anzutreffen sind. Es ist Erholung und Refugium für mich. Schreivögel gibt’s ab ca. 2.500 Metern praktisch nicht mehr. Und die NTs, die ich da oben treffe, sind oft schallmäßig genauso unterwegs wie ich:

Das sind schweigsame Naturen, die in Ruhe gelassen werden wollen, und ihr Zeug machen. Meistens machen sie nicht mehr Geräusch als nötig.

Nach meinen Zählungen ist ungefähr die Hälfte der NTs, die ich im Hochgebirge treffe, so drauf.

Aber die andere Hälfte!

So wie man nur einen Idioten braucht, der sein Handy nicht ausgeschaltet hat, um die Stille von 1.000 Menschen zu zerstören, so braucht es im Hochgebirge nur einen einzigen NT, der sich von Schall ernährt, und es ist vorbei mit der Stille. Da oben trägt der Schall sehr, sehr weit.

 

Im letzten Sommer war ich in knapp 3.000 Metern Höhe unterwegs, als ich von einem Trupp junger Nachwuchsnarzissten überholt wurde. Fünf junge Männer, alle so zwischen 20 und 30 Jahren alt. Sie wollten genauso wie ich rauf zum Hochplateau, das deutlich über 3.000 Metern liegt. Es gibt da oben nur diesen einen Weg, deshalb war klar, wo sie hinwollten.

Ich hatte sie schon vor einer guten halben Stunde zum ersten Mal gehört und mir wieder Stöpsel in die Ohren gesteckt, um das nicht mitanhören zu müssen. Denn sie quatschten sich den Berg hoch.

 

Je näher sie kamen, desto lauter wurden sie. Und das ist selbst für NTs ungewöhnlich. Normalerweise quatschen sich NTs in gleichbleibender Lautstärke die Berge hoch. Als sie mich überholten, wurde mir klar, worum es ging:

Sie waren Nachwuchsnarzissten und wollten der Welt (in dem Fall also mir und allen anderen in Hörweite) kund und zu wissen geben, wer sie waren und dass sie da waren. Fünf junge Helden in offenen Sportschuhen unterwegs in Felsen, Schnee und Geröll und auch sonst vom gesamten Habitus her ausgestattet mit dieser Verachtung für die Gefahren der Berge, die nur die wirklich coolen Leute drauf haben. Ihre Einstellung war augenscheinlich:

„Wir sind nicht hier wegen des Berges, sondern der Berg ist hier wegen uns. Er ist uns viel zu niedrig und viel zu leicht (der reine Babykram!) und normalerweise rocken wir die Achttausender. Aber wo wir schon mal hier sind, machen wir diesen Berg mal so richtig fertig. Wenn wir mit ihm durch sind, dann ist er mindestens 200 Meter niedriger vor Demut und vor Scham ...“

Und bla und blubb. Demut vor den Bergen oder der Natur ist nicht jedem gegeben. Und ich, als alternder Asthmatiker, was soll ich schon groß sagen, angesichts so kühner und unerschrockener Welteroberung? Wie soll mir nicht der Atem stocken bei solch nonchalanter Verachtung der Gefahr?

Ich hab‘ dann erst mal Pause gemacht, um den Abstand zu ihnen zu vergrößern und bin dann weiter durch Geröll und Schnee nach oben gestakelt.

 

Es gibt viele Menschen, die sich auch im bejahrten Alter die Gewissheit bewahrt haben, dass die Welt für und durch sie da ist. Diese Sicht der Dinge zeichnet bei einer gesunden seelischen Entwicklung vor allem Säuglinge und Kleinkinder aus. Aber wenn jemand beschlossen hat, ewig jung zu bleiben – wer will es ihm verdenken? Man ist nur einmal jung, heißt es. Und gleichzeitig heißt es: Wenn man es richtig macht, dann reicht dieses eine Mal. Ich kenne viele Menschen, die beschlossen haben, ewig jung zu bleiben und das Erwachsenwerden auf das nächste Leben zu vertagen. Und dann reicht einmal jung sein natürlich vollkommen aus.

Und diese Einstellung: „Die Welt ist für und durch mich da“, die ist nach meiner Erfahrung immer mit einer gewissen Geräuschemission verbunden. Das gilt sowohl für die Säuglinge und Kleinkinder als auch für die, die beschlossen haben, im Hirn ewig jung zu bleiben.

 

 

Dann gibt’s da natürlich auch noch die NTs, die mir erzählen, dass ihnen Stille genauso wichtig ist wie mir. Das sind tatsächlich ziemlich viele. Wenn ich öffentlich erzähle, wie wichtig mir die Stille ist, dann bin ich auf einmal umgeben von NTs, denen es genauso geht. Wie zum Beispiel der Frau, mit der ich de jure verheiratet bin. Die sagte mir vor Jahren einmal:

 

„Aber ich bin doch auch sehr oft still und sage nichts.“

Ich schaute sie mir genau an. Sie meinte das völlig ernst. Also antwortete ich ihr:

„Ja, das stimmt. Meistens ist es dann aber ziemlich dunkel, deine Augen sind geschlossen und dein Atem geht ruhig und gleichmäßig.“

 

 

Zum Schluss noch diese Beobachtung:

 

Im Herbst letzten Jahres fiel mir in einer deutschen Großstadt ein großformatiges Plakat an einer Litfaßsäule auf. Es sah ein bisschen aus wie ein Fahndungsplakat: Ganz viele Porträtfotos dicht nebeneinander, alle im selben Format und mit der selben Technik gemacht. So, als ob diese Leute von der Polizei gesucht würden. Ich ging näher ran, um mir das mal genauer anzuschauen. Das waren die Gesichter von Künstlern, die im coronabedingten Lockdown um ihre wirtschaftliche Existenz fürchteten. Sie wollten auf ihre Situation aufmerksam machen. Und um unmissverständlich klar zu machen, wie ernst die Lage war, stand in ganz großen Buchstaben unten auf dem Plakat:

Ohne uns ist Stille.“

Ich seufzte tief. Ich seufzte sehr tief. Ja, ich weiß, dass es Künstler derzeit sehr schwer haben, und dass sie unsere Unterstützung brauchen. Und genauso weiß ich, dass die Kunst für das Menschsein genauso wichtig ist wie die Sprache oder der Gebrauch von Werkzeugen. Kunst ist also kein Luxus, sondern unabdingbar für das Menschsein. Aber genauso gilt:

 

Ja, ihr lieben NTs, ohne euch ist Stille. Ohne euch ist endlich Stille. Was für euch eine ultimative Bedrohung zu sein scheint hat für mich was Paradiesisches.

 

Ohne euch ist Stille.

In der Tat.

Ihr ernährt euch von Geräusch, und ich brauche die Stille.

Ohne sie kann ich nicht sein.

 

Zieht selber eure Schlüsse daraus.

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