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Liebevolle Zuwendung

*** Vorsicht bitte mal wieder – das kann für verletzte Menschen Triggerkram sein. ***

 

 

Auch in diesem Text schreibe ich nur von mir. In welchem Maße das, was für mich richtig ist, auch für andere richtig ist, weiß ich nicht.

 

Und los geht’s.

 

In meiner Welt unterscheide ich wirksame Psychotherapie von nicht wirksamer Psychotherapie. Das sieht in etwa so aus:

 

Wirksame Therapie

Nicht wirksame Therapie

Arbeitet an den Ursachen.

Arbeitet an den Symptomen.

Das Ziel ist die Heilung.

Das Ziel ist die Besserung der Symptome.

Meistens nicht sprachgebunden.

Meistens sprachgebunden.

Dauert sehr lange (viele Jahre).

Arbeitet sehr kurzfristig (Wochen).

„Schlechte“ Gefühle sind herzlich willkommen.

„Schlechte“ Gefühle sollen weg sein.

Ist eher gefährlich. Wenn das schief geht, zum Beispiel, weil der Therapeut keine Ahnung hat, dann führt das zu gravierenden Schädigungen.

Ist eher ungefährlich. Wenn das schief geht, zum Beispiel, weil der Therapeut keine Ahnung hat, dann hast du nur Zeit und Geld verloren und an Erfahrung gewonnen.

Führt bei Erfolg zu langfristigen und nachhaltigen Verbesserungen. Dein Leben wird dauerhaft schöner, voller und runder.

Führt bei Erfolg zu Ergebnissen, die oft nur kurzfristiger und kosmetischer Natur sind. Oft kommt es zu einer Verschiebung der Probleme von einem Bereich in den anderen. (Zum Beispiel: Aus Alkoholsucht wird Arbeitssucht. Der Mensch ist trocken (hurra) und arbeitet sich zu Tode).

 

Beide Therapieformen haben ihre Berechtigung. Es kommt immer darauf an, was die Problemlage ist, und was dein Ziel ist. Es gibt viele Menschen, die wollen nicht heilen, die wollen nur, dass es ihnen besser geht. Es soll ihnen schnell besser gehen, und sie wollen sich möglichst wenig mit sich selber beschäftigen müssen. Und weh tun soll’s auch nicht. Zugespitzt: Das ganze soll möglichst mühelos sein und möglichst schnell vorbei sein. Diese Menschen sind ganz sicher besser aufgehoben in einer Psychotherapie,die nicht wirksam ist.

 

Nach allem, was ich sehen kann, arbeiten ungefähr 95% aller Psychotherapeuten in Deutschland im nicht wirksamen Bereich. Sie fürchten sich vor intensiven und tiefen Gefühlen – vor ihren eigenen und vor denen ihrer Klienten. Ihre fachliche Kompetenz in Sachen Gefühl und Innenwelt ist vergleichsweise überschaubar. Solche Therapeuten sitzen dann mit ihren Klienten zusammen und reden ganz sachlich über Gefühle, und das Ziel ist eine Besserung der Symptome.

 

Dagegen ist nichts zu sagen.

Aber es ist nichts für mich.

Von einer Besserung der Symptome habe ich nichts. Denn ich weiß aus Erfahrung, dass sie wiederkommen werden, wenn ich nicht an ihrer Ursache arbeite.

 

Die Therapie, in der ich zur Zeit bin, ist eine wirksame. Ich bin sehr zufrieden mit der Therapeutin und mit der Methode. Aber ich habe noch sehr viel über mich zu lernen. Deshalb schaue ich mich oft im Internet um und suche nach Hinweisen und nach Tipps für Bücher.

Und in diesem Zusammenhang stoße ich sehr häufig auf eine Grundeinstellung von Therapeuten, die mir extrem zuwider ist.

 

Davon will ich heute schreiben.

Ich will es an einem Beispiel deutlich machen. Dieses Beispiel steht für sehr viele, die ich im Internet finde, oder von denen mir berichtet wird.

 

Er bietet wirksame Psychotherapie an. Er arbeitet vor allem in Norddeutschland. Sein Methodenspektrum und seine Erfahrungen scheinen sehr breit zu sein. Nach allem, was ich lese, höre und sehe, kann er wirklich was. Das scheint jemand zu sein, den man als Therapeuten empfehlen kann.

 

Aber um verständlich machen zu können, was mich so sehr an seinem Internetauftritt stört, muss ich ein wenig ausholen.

 

Also:

 

Was mich schon seit geraumer Zeit in meinem Leben umtreibt, sind Traumata. Das ist für mich ein neues und eigenes Kapitel. Als junger Erwachsener bin ich lange in einer wirksamen Psychotherapie gewesen, in der wir uns aber ausschließlich mit Neurosen beschäftigt haben. In Neurose glaube ich ziemlich fit zu sein. Von Traumata weiß ich beinahe nichts.

 

Was ist der Unterschied zwischen den beiden?

Das ist in meiner Welt vergleichsweise simpel:

In einer Situation, die zu einer Neurose führt, ist der sehnlichste Wunsch des kleinen Kindes: „Hilf mir!“

In einer Situation, die zu einem Trauma führt, ist der einzige Wunsch des kleinen Kindes:

„Hol mich hier raus!“

 

Neurose führt zu Zwangshandlungen und zu Zwangsgedanken, zu destruktiven und dysfunktionalen Kommunikationsmustern, die sich ewig wiederholen, zu verdrängten und vergessenen Gefühlen … Kurz: Wenn du hochneurotisch bist, dann ist dein Leben eine ziemlich abscheuliche Angelegenheit. Wenn du ein erfülltes Leben leben willst, das diesen Namen auch verdient, dann musst du wirklich was tun.

 

Ich vergleiche Neurose immer mit Kolonisation:

Du bist als kleines Kind ein blühendes und fruchtbares Land. Die Eingeborenen sind freundliche und friedliebende Menschen. Das Leben ist schön und gut. Natürlich gibt es auch Zahnschmerzen, Liebeskummer und böse Nachbarn, aber grundsätzlich kannst du da gut und zufrieden ein erfülltes Leben leben.

 

Ja, und dann kommen die Weißen (meistens sind das die leiblichen Eltern). Und die treten auf wie die Kolonialherren. Sie plündern und brandschatzen deine Ressourcen, versklaven die Eingeborenen und errichten ein Zwangsregime mit neuer Religion, neuen Gesetzen, neuen Bräuchen … das Leben ist nicht mehr schön. Das Leben ist schwer und widerlich und voll seltsamer Rituale und Mühen, von denen kein Mensch weiß, wozu sie gut sind. Hier wird niemand mehr seines Lebens froh. Es gibt noch die Erinnerung an glücklichere Zeiten, aber die verblasst zusehends. Und wie Kolonialherren nun mal so sind: Sie haben die Macht, und die setzen sie auch rücksichtslos ein. Sie verwüsten dein Land und plündern es aus. Wie’s dir dabei geht, ist völlig unerheblich. (Vermutlich sagen die Kolonialherren sogar, dass das alles nur zu deinem Besten ist).

 

Willst du dich also von der Neurose befreien, dann gibt es nur eins:

Auf in den Befreiungskrieg! Ziehe in den Kampf gegen die Eltern in dir (die, die in deinem Herzen wohnen), behalte das, was gut ist und den Rest schmeiß‘ gnadenlos raus. Das ist Fremdherrschaft, das hat in deinem Leben nichts mehr zu suchen. Erobere dein Land zurück, so dass du es wieder in Frieden und Freiheit bewohnen kannst. Was die Kolonialherren zerstört haben, das baue wieder auf oder lass‘ es wieder wachsen.

 

Gut.

Das war die Neurose.

 

Kommen wir zum Trauma.

Womit ist Trauma zu vergleichen?

Grundsätzlich sind die Ausgangsbedingungen die gleichen wie bei der Neurose:

 

Du bist als kleines Kind ein blühendes und fruchtbares Land. Die Eingeborenen sind freundliche und friedliebende Menschen. Das Leben ist schön und gut. Natürlich gibt es auch Zahnschmerzen, Liebeskummer und böse Nachbarn, aber grundsätzlich kannst du da gut und zufrieden ein erfülltes Leben leben.

 

Ja, und dann kommen die Weißen. (Meistens sind das die leiblichen Eltern).

Und die werfen eine Atombombe auf dein Land.

Oder wie in meinem Fall:

Sie werfen dutzende, hunderte Atombomben auf dein Land.

 

Da blüht und wächst nichts mehr. Da wird auch nie wieder was wachsen und blühen. Nicht in den nächsten zehntausend Jahren. Hier gibt es auch nichts mehr zurückzuerobern. Das, was dein Heimatland hätte sein sollen, ist verbrannte und verstrahlte Asche und Schlacke. Auf ewig.

Und es gibt keine Erinnerung mehr an irgendwelche glücklichen Zeiten.

 

Und wenn jemand (zum Beispiel ein Therapeut) dich auffordert:

„Auf in den Befreiungskrieg!“,

dann kratzt du dich ungläubig am Kopf und schaust dir dieses Land an, und deine Reaktion ist:

„Ich soll kämpfen um das da?! Warum? Nehmen wir mal an, ich erobere das. Was soll ich damit?“

 

Das ist zur Stunde meine Situation.

 

Als junger Erwachsener habe ich mich mit meinen Neurosen beschäftigt. Über ein Jahrzehnt habe ich intensiv gekämpft, befreit und zurückerobert. Was es von meinem Land zurückzuerobern gab, habe ich zu einem großen Teil wieder in Besitz genommen. Das war sehr gut und sehr erfolgreich. Als ich meine erste Psychotherapie begann, war mein ganz klares Ziel: „Ich will ein neues Leben.“ Das habe ich bekommen.

Und dann begann ich mich in dieser Psychotherapie auf einmal im Kreis zu drehen. Es ging in keiner Weise mehr voran, und ich wusste nicht, warum. Niemand konnte mir das schlüssig erklären. Also hörte ich auf damit.

 

Dann war fast zwanzig Jahre Pause.

Mein neues Leben nahm mich voll in Anspruch - Beruf, Familie, Kinder … es gibt vieles, was einen auf Trab hält, auch in einem neuen Leben.

 

Aber in all den Jahren haben Kräfte in mir, von denen ich sehr wenig weiß, weiter an der Heilung gearbeitet und alles vorbereitet für die zweite Reise. Und so wie meine beiden Töchter aus dem Haus waren, bekam ich von meinen Kleinen den Auftrag, wieder aufzubrechen. Diesmal buchstäblich ans Ende der Welt. Die Zielvorgabe war genauso klar wie bei der ersten Reise. Damals war es: „Ich will ein neues Leben.“ Diesmal war es: „Ich will Heimat.“

 

Dann ging das alles sehr rasch. Ich suchte eine Therapeutin, ich fand sie, wir begannen die Therapie und schon Wochen später machte es „Klack!“, und der Andere tauchte in meinem Leben auf. Und seitdem scheint so ziemlich nichts mehr in meinem inneren Leben so zu sein, wie es war. Mein äußeres Leben läuft weiter auf seinen gewohnten Bahnen. Aber innen: Ach du liebe Güte!

 

Wenn man eines Morgens aufwacht und plötzlich feststellt, dass man nicht der ist, der man zu sein glaubte, sondern jemand ganz anderer – komplett mit neuer Biografie, neuen Erinnerungen, neuen Vorlieben, neuen Talenten etc. … man könnte nicht überraschter sein als ich.

 

Das ist zur Stunde also meine Situation.

 

Wie man einen Befreiungskrieg führt und die Kolonialherren aus dem Land wirft, wie man anschließend die Schäden beseitigt, sein Land renaturiert und ein Gemeinwesen aufbaut, in dem sich gut und zufrieden leben lässt – das ist mir alles wohlvertraut. Da kenne ich mich aus, da bin ich firm. Natürlich muss ich auch in diesem Bereich noch sehr viel lernen. Aber grundsätzlich habe ich diese Thematik in der Tiefe durchdrungen – emotional und intellektuell.

 

Und plötzlich stehe ich in einer Atomwüste. Dutzende, hunderte Atombomben sind hier runtergekommen. Diese Wüste reicht von Horizont zu Horizont. Kein Baum, kein Strauch, kein Grashalm wächst hier mehr. Es steht kein einziges Gebäude mehr, die einzigen Spuren von Leben, die zu finden sind, sind die zahlreichen Schwerverletzten, die an vielen Stellen dieser Wüste zu finden sind.

Und jetzt?

 

Wie ich oben schrieb:

Von Traumata weiß ich beinahe nichts. Da muss ich noch sehr, sehr viel lernen.

 

Und dann gibt’s da die Menschen, die von sich behaupten, sich mit Traumata auszukennen. Die schreiben Fachartikel und Bücher, die halten Vorträge und bieten Therapien an. Vor allem das – sie entwickeln Psychotherapien und bieten sie an.

 

Ich will diesen Menschen nicht zu nahe treten. Was sie sagen, schreiben und tun, ist vermutlich gut und schön und richtig.

 

Aber nicht für mich.

 

Beinahe nichts, was ich in Sachen Trauma im Internet oder in Büchern finde, passt zu mir und zu meiner Situation. Meine Kleinen sagen dann immer:

„Der schreibt nicht von uns. Der schreibt von jemand anderem.“

 

Ich weiß noch nicht, wie das sein kann. Anscheinend gibt es ganz unterschiedliche Formen von Traumata. Trauma scheint ein Kontinuum zu sein. Und das, was ich als Kind erlebt habe, gehört anscheinend zum äußersten Rand dieses Kontinuums. Hier kommt keiner (oder kaum einer) hin. Selbst die nicht, die sich beruflich mit nichts anderem als mit Trauma beschäftigen.

 

Gut.

Und damit kommen wir zum Punkt.

Diese lange Vorrede war nötig, damit deutlich wird, wovon ich schreibe, und warum ich im Inneren so heftig reagiere.

 

Da gibt es also diesen Therapeuten in Norddeutschland. Und der scheint ziemlich fähig zu sein. Und der schreibt so ziemlich den selben Mist, den anscheinend so ziemlich jeder Trauma-Therapeut in Deutschland als unverrückbaren Glaubenssatz im Arsenal seiner Grundüberzeugungen hat.

Ich zitiere:

„Damit alte Traumata heilen können, braucht es sehr viel liebevolle Zuwendung (…)“

Das steht da als allererstes, wenn man auf Trauma klickt. Das scheint seine zentrale Botschaft zu sein.

 

Wir lasen das.

Und meine Kleinen sagten fassungslos:

„Ja, hast du sie noch alle?!“

 

In uns brach ein Sturm der Empörung los. (Das hat ganz viel mit uns und ganz wenig mit diesem Mann zu tun. Der kann nichts dafür und macht seine Sache vermutlich sehr gut).

 

Wir lasen diesen Satz und machten die gleiche Körperbewegung, die wir immer in solchen Fällen machen:

Wir formen beide Hände so, dass wir das Zeug nehmen, dass er uns geben will und geben es ihm direkt wieder zurück:

„Hier hast du deine Liebe. Nimm sie und verschwinde.“

 

Wer sich auf das einlassen will, was in mir in solchen Fällen vorgeht, den lade ich ein zu diesem Bild:

Du stehst an einem kühlen Vormittag mitten in dieser Atomwüste, von der ich schrieb. Die Sonne steht bleich am Himmel – sie ist abgeschirmt durch den allgegenwärtigen Rauch und Staub. Überall riecht es scharf und verbrannt. Etwas weiter hinten ist in der Nacht ein wenig Regen gefallen. Von dort riecht es scharf und modrig. Es ist beinahe völlig still. Ein leichter Wind geht durch die verbrannten Ruinen. Und wohin du auch schaust – alles zerstört, alles vernichtet. Kein Vogel fliegt, keim Baum, kein Strauch, kein Grashalm ist zu sehen.

 

Und egal, in welche Himmelsrichtung du auch schaust – überall sieht es gleich aus. Das reicht von Horizont zu Horizont – in alle Richtungen.

 

Du gehst rüber zur Ruine eines Steinhauses. An drei Seiten stehen noch Reste der Grundmauern. Den Rest vom Haus hat der Atomsturm davongefegt. Diese Ruine ist die brauchbarste weit und breit. Deshalb hast du hier so eine Art Lazarett eingerichtet. Du hast Leute ausgeschickt, um die Verletzten zu bergen. Und die Verletzten werden zunächst mal hier in diese provisorische Klinik gebracht. (Selbstredend hast du außer deinen Händen nichts, womit du sie versorgen kannst – kein Verbandsmaterial, keine Schmerzmittel, keinen OP, keine Medikamente, keine Betten, keinen Strom, kein Wasser, kein Essen – immer daran denken: Wir reden hier von Atomwüste. Hier ist nicht eine Atombombe runtergekommen, hier hat es dutzende Einschläge gegeben).

 

Du machst dich also wie jeden Tag daran, die Verletzten zu versorgen. (Später werden sie dann in Sicherheit gebracht, in den Garten, wo ihnen nichts mehr passieren kann, wo es ihnen gut geht, wo sie gut und zufrieden leben können. Aber jetzt sind sie erst mal hier).

 

Ja, und dann taucht da auf einmal dieser Psychotherapeut auf. Er kommt zu dir in diese Atomwüste und besucht dich in deiner „Klinik“. Er schaut sich das an und erfasst mit einem Blick die gesamte Situation. Und dann sagt er versonnen aber sehr bestimmt:

 

„Was hier vor allem fehlt, ist liebevolle Zuwendung.“

 

Und das scheint die weitaus meisten Trauma-Therapeuten umzutreiben:

Dass es den Traumatisierten vor allem an liebevoller Zuwendung fehlt. Schon wenn ich ihre Internetseiten nur anklicke, wird mir ganz anders:

·         Weise, flauschige Sprüche aus dem Poesiealbum

·         Blumen, Blätter, Girlanden, Flitter, Flatter und Flausch als optischer Hintergrund dieser Webseite

·         Und ganz viel Liebe, Liebe, Liebe, Liebe

·         Und ganz sanft und behutsam und säuseln, säuseln, säuseln.

·         Und so weiter.

·      (Dafür sind aber die Beschreibungen der Behandlungsmethoden, die wir da finden, beinahe ausnahmslos das, was meine Kleinen als sprachlichen Stacheldraht erleben).

 

Und ich denke mir:

Ja, bist du noch ganz dicht?!

Und ich fühle jede Menge Empörung.

 

Wenn du so einen Verletzten findest, dann braucht der nicht liebevolle Zuwendung. Ganz sicher nicht. Der braucht sicheres, kompetentes und beherztes Zupacken. Und dass er versorgt wird und irgendwie rauskommt aus dieser Situation. Wenn du zu einem schweren Unfall auf der Autobahn kommst und dort mehrere Schwerverletzte vorfindest, dann gibst du ihnen doch auch nicht liebevolle Zuwendung!

Glaubst du, dass all die Rettungssanitäter, die da draußen rumfahren und bei Unfällen die Verletzten versorgen, vor allem in liebevoller Zuwendung ausgebildet werden?!

Ja, bist du eigentlich bescheuert?!

 

Liebevolle Zuwendung ist sehr wichtig, keine Frage.

Aber die steht ganz am Ende dieses Prozesses.

Vorher sind ganz andere Sachen wichtig. Lebenswichtig. Überlebenswichtig.

Und davon scheinen die allermeisten Trauma-Therapeuten überhaupt keine Ahnung zu haben.

Jedenfalls finde ich auf ihren Internetseiten sehr zuverlässig nichts dazu. Absolut nichts. Liebe scheint ihre Kernkompetenz zu sein.

 

Einschub

Letztens schrieb mir eine NT-Frau, die ich sehr schätze und dich ich für sehr fähig halte, eine Mail. Sie ist in ihrer Kindheit sehr schwer traumatisiert worden. Und ihre Psychotherapeutin wollte mit ihr einen Vertrag machen, als das erste Trauma hochpoppte. Ich schrieb dieser Frau:

„Ja, das ist wichtig in solchen Situationen, dass man Verträge macht. Das ist das einzige, was hilft. Und das ist auch das, wonach sich unsere Kleinen, die sich abgespalten haben, ein Leben lang gesehnt haben – endlich mal ein solider Vertrag. Da fühlen sie sich gleich wesentlich besser.“ (Für die AS unter meinen Lesern: Was ich in dieser Mail geschrieben habe, ist die reine Ironie. – Liebe oder Vertragsgestaltung: In so einer Situation ist beides derselbe Quatsch. Wenn Rettungssanitäter zu einem Unfall kommen, dann schmeißen sie nicht mit Liebe um sich. Sie gehen aber auch nicht mit den Opfern zunächst mal durch das Kleingedruckte eines Vertrages. Natürlich steht am Anfang einer wirksamen Psychotherapie ein Vertrag zwischen Therapeut und Klient. Aber das ist weit vor der Beschäftigung mit irgendeinem Trauma).

 

In Wirklichkeit hatte diese Psychotherapeutin vor allem Angst vor ihren eigenen Gefühlen und vor dem, was sich hier jetzt andeutete und wollte sich mit diesem Vertrag vor all dem schützen.

Einschub Ende

 

Und für alle Menschen da draußen, die die Grundüberzeugung haben, dass Liebe alles heilt, und die deshalb mit ihrer Liebe nur so um sich schmeißen:

Schmeiß in eine andere Richtung, aber nicht auf mich. Ich bin anders unterwegs als du und habe ganz andere Sorgen als du. Ich kann mit dem, was du für Liebe hältst, nichts, aber wirklich absolut nichts anfangen.

 

Falls du nicht weißt, wie im Lazarett mit anzupacken ist – und davon ist nach allem, was ich sehen kann, auszugehen:

Behalte das, was du für Liebe hältst, für dich. Ich brauche nicht mal ein Gramm davon. Das ist tatsächlich der einzige Liebesdienst, den du für mich tun kannst.

Und lass‘ mich in Ruhe. Ich muss für meine Verletzten da sein und kann keine Zeit für dich erübrigen. Nicht mal eine Sekunde.

 

Lass mich in Ruhe.

 

Dankeschön.

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Kommentare: 2
  • #1

    Kikkulade (Sonntag, 20 Dezember 2020 09:47)

    In einer Atomwüste die sich Internet nennt, ein sehr wichtiger Text für mich!
    Danke, Stiller :)

  • #2

    Stiller (Sonntag, 20 Dezember 2020 21:57)

    Bitte.
    (UmKk)