In eigener Sache … Die im Dunkeln sieht man nicht

*** Dieser Text ist extrem selbstreferentiell (selbstbezogen). Ich bitte um Verständnis. ***

 

Wenn ich ehrlich bin – ich weiß gar nicht, seit wann genau es diesen Blog gibt. Er gibt ihn halt. Beinahe vier Jahre schon, denke ich mal. Im Dezember letzten Jahres war der Blog bereits 15.000 Mal besucht worden. Und ich überlegte mir, wie viele Besuche ich gerne am Ende des Jahres 2020 zählen würde: 20.000. – Das hätte bedeutet, dass mein Blog ca. hundert Mal in der Woche besucht werden würde. Ich hielt dieses Ziel für sehr ambitioniert.

 

Irgendwann in diesen Tagen wird diese Marke überschritten werden – deutlich vor der avisierten Zeit. So viele Menschen interessieren sich für das, was ich schreibe. Ich bin verblüfft und dankbar. Ich bin berührt. Und anlässlich dieser für mich bedeutsamen Zahl will ich an dieser Stelle einmal innehalten und beschreiben, was hinter diesem Blog steckt und wie die Blogtexte eigentlich entstehen.

 

 

Am Anfang

 

Angefangen hat das alles damit, dass ich jahrelang im deutschsprachigen und im englischsprachigen Netz nach Texten suchte, die mich interessieren könnten. Ich habe keinen gefunden. Nicht einen einzigen. Nirgendwo konnte ich mich richtig festlesen - an keinem Blog, an keiner Internetpräsenz. Ich fand keinen Text, an den ich noch wochenlang gedacht hätte, um ihn dann wieder und wieder und immer wieder zu lesen. Nichts. Gar nichts. Ziemlich enttäuschend, sowas: Da gibt es buchstäblich Milliarden von Menschen, die irgendwas ins Internet stellen. Und mir gelingt es nicht, irgendwas zu finden, was mich nachhaltig interessieren könnte.

 

Es gab logisch gesehen nur zwei Möglichkeiten, woran das lag:

a)    Ich finde die Texte nicht (obwohl es sie gibt).

b)    Es gibt sie nicht.

 

Da meine Kleinen aber unbedingt solche Texte lesen wollten, gab es nur eine praktikable Lösung: Ich musste diese Texte selber schreiben.

 

 

Als Autor von Gebrauchstexten

 

Ich bin durchaus erfahren im Schreiben von Gebrauchstexten. Jahrelang war ich an meinem Arbeitsplatz das, was mein Chef „Das Gewissen der deutschen Sprache“ nannte: Kein Text der Abteilung durfte an die Öffentlichkeit gehen, wenn ich ihn nicht freigegeben hatte. Die Kollegen reichten mir massenhaft Texte ein, und ich veranstaltete dann immer ein regelrechtes Massaker mit dem, was sie geschrieben hatten:

Hier passten Subjekt und Prädikat nicht zusammen. Hier waren die logischen Bezüge falsch hergestellt. Hier waren Wiederholungen und Längen drin. Hier war der Text missverständlich. Dieses hätte man prägnanter und kürzer ausdrücken können. Jenes ging ziemlich am Thema vorbei, denn derText passte nicht zur Überschrift…

 

Als ich dann später selber Zeitungsartikel schrieb, wurden meine Texte von hauptberuflichen Lektoren geprüft, also von Menschen, die das wirklich konnten. Und siehe da – auch ich drückte mich nicht immer so treffsicher und prägnant aus, wie das möglich gewesen wäre.

 

Aber wie auch immer:

Ich schreibe gerne, und ich schreibe gerne viel. Ich rede zwar kaum was, wenn ich nicht muss (und manch einer verzweifelt daran, dass ich so schweigsam bin). Aber ich schreibe.

 

 

Was für Texte sollen es denn sein?

 

Was für Texte wollen meine Kleinen lesen?

 

1.    Sie wollen was lernen. Texte, bei denen sie nichts lernen können, lesen sie nicht.

2.    Die Texte sollen lebendig geschrieben sein. Viele Texte, bei denen man was lernen kann, sind so trocken geschrieben, dass es regelrecht staubt. Da gleicht jedes Lesen einer endlosen Wüstenwanderung.

3.    Die Texte sollen flüssig, klar, prägnant und einfach geschrieben sein. Viele Menschen, die was kluges schreiben, schreiben derart kompliziert und verquast, dass man jeden Satz regelrecht aufmeißeln muss, um rauszukriegen, was der Autor eigentlich sagen wollte. Bei mir gilt: Ein achtjähriges Kind muss meine Texte verstehen können.

4.    Der Autor sagt, was er sagen will. Als es noch meine Aufgabe war, die Texte meiner Kollegen zu redigieren, fragte ich sie oft:

„Was willst du damit eigentlich sagen?“

Sie erklärten es mir. Und ich bat sie:

„Dann schreib‘ es auch so hin.“

5.    Der Zoom ändert sich nicht laufend: Wenn du von etwas ganz Speziellem schreibst, dann bleib bei diesem Speziellen. Wechsle nicht plötzlich zu irgendwas Übergeordnetem (Allgemeinen) und wieder zurück. Bleib beim Thema und arbeite das ab und zoome dann erst rein oder raus.

6.    Den Dingen wird auf den Grund gegangen. Das ist vielleicht das wichtigste.

Wenn jemand nur aufschreibt, was er gerade denkt oder fühlt oder was seine Meinung ist, dann interessiert mich das meistens nicht. Ich will, dass der, der schreibt, den Dingen auf den Grund geht:

Wenn er aufschreibt, was er fühlt – was genau fühlt er da? Aus welchem Grund? Womit hängen diese Gefühle zusammen? Was ist das System, was die Struktur?

Wenn jemand schreibt, was seine Meinung ist: Was daran ist Fakt, was lässt sich nicht begründen? Wie ist diese Meinung entstanden? Was ist seine Hierarchie der Werte? Wohin führt diese Meinung, wenn man sie rigoros zu Ende denkt?… und so weiter.

Dasselbe bei Gedanken: Schreibst du nur das auf, was dir gerade durch den Kopf geht, oder hast du das wirklich durchdacht?

Das heißt nicht, dass das, was du schreibst, der in Stein gemeißelte letzte Schluss sein muss. Aber wenn du zu irgendwas Gedanken hast, dann arbeite bitte heraus,

a)    worum es eigentlich geht (Was ist Ursache und was ist Wirkung?)

b)    wie die inneren (logischen) Zusammenhänge sind. (Was sind Axiome (Voraussetzungen), was sind Schlussfolgerungen aus diesen Axiomen?)

c)    wie diese Gedanken entstanden sind und wohin sie führen.

 

Und wie vorhin beschrieben:

Solche Texte finde ich im Netz nicht.

Die Texte, die ich finde, geben in aller Regel das wieder, was den Menschen gerade durch den Kopf geht. Und das war’s meistens auch schon. Das meiste, was ich im Internet finde, wirkt auf mich wie ein einziges unreflektiertes Gebrabbel. Es erinnert mich an das, was ich höre, wenn ich am Bahnsteig eines großen Bahnhofs auf den Zug warte. In den Köpfen und in den Herzen der meisten Menschen scheint es recht wenig Ordnung und Struktur zu geben. Und Hinterfragen (so, wie ich es verstehe) schon gar nicht.

 

 

Wie die Texte entstehen

 

Ich habe dann also auf Bitten meiner Kleinen angefangen, solche Texte zu schreiben – einen, noch einen, noch einen. Das nahm gar kein Ende mehr. Binnen kürzester Zeit entstanden mehr als 50 Texte. Ich ließ sie eine ganze Weile einfach liegen. Dann - nach ein paar Monaten – schaute ich sie mir nochmal an. Das meiste war nicht von der Güte, dass ich die Texte gerne wieder gelesen hätte. Also hab‘ ich mich hingesetzt und die Texte nochmal überarbeitet. Und nochmal. Und nochmal.

 

Anfangs wollte ich alle Texte auf die Länge von maximal einer Seite DIN A 4 begrenzen. Später stellte ich fest, dass das nicht ging. Dafür waren die Themen einfach zu komplex.

 

Wenn ich heute einen Text veröffentliche, dann ist er häufig über Monate oder sogar Jahre entstanden. Mein Kopf und mein Zettelkasten sind voller Notizen. Aber bis ich da Ordnung und Struktur reinbekomme und mir klar wird, worum es tatsächlich geht und ich das aufschreiben kann … das kann dauern. Das kann wirklich ziemlich dauern. Normalerweise entsteht ein Text in fünf Arbeitsschritten. Aber oft genug muss ich ihn zehnmal und öfter umschreiben. (Dieser Text hier ist aktuell in der sechsten Überarbeitung). Ich schreib‘ den Text, lass ihn liegen, schau ihn mir nach ein paar Tagen nochmal an und stelle nüchtern fest:

„Das ist Mist!“

Und dann nehme ich ihn mir wieder vor: Absätze werden gestrichen, Sätze werden gekürzt, Strukturen werden gestrafft und vereinfacht ... Dann lasse ich ihn wieder liegen, dann wird er wieder überarbeitet. Und so weiter.

 

Ich denke derart kompliziert und komplex – wenn ich das ungefiltert verschriftliche, dann ist das nicht zu verstehen. Und oft genug schreibe ich Wirrwarr, der erst mal geordnet werden muss.

 

Häufig gebe ich einen Text aber auch mit der seufzenden Bemerkung zur Veröffentlichung frei:

„Besser krieg‘ ich’s einfach nicht hin!“

Mit der Hälfte der Texte, die in meinem Blog erscheinen, bin ich einigermaßen zufrieden. Und die anderen Texte – tja! Das hätte man eindeutig besser machen können. „Man“ hätte das können. Ich nicht. Mir fehlt es oft genug an Begabung, Denkdisziplin und Ideen.

 

Da aber auf dieser Welt nichts perfekt ist - außer dem Kreis und dem Quadrat (und der Frau, mit der ich de jure verheiratet bin) -, gebe ich die Texte frei, auch wenn „man“ sie sicher noch viel besser machen könnte.

Es soll jede Woche ein Text erscheinen – und das bitte über viele, viele Jahre. Also muss ich mich mit der Produktion ranhalten. Dass die Texte regelmäßig und über einen langen Zeitraum erscheinen, ist mir sehr wichtig. Sie sollen mit der Zuverlässigkeit eines Uhrwerks erscheinen.

 

 

Die Testleserinnen

 

Bei vielen meiner Texte bin ich mir auch nach langer und gründlicher Arbeit absolut nicht sicher, ob sie überhaupt was taugen. In so einem Fall schicke ich diesen Text einer meiner Testleserinnen zu und bitte sie um Stellungnahme. Wenn die Testleserin sagt:

„Das ist Mist.“, dann ziehe ich den Text kommentarlos aus dem Verkehr.

Oft genug machen die Testleserinnen mich aber auch auf die Schwächen in meinem Text aufmerksam und geben mir wertvolle Hinweise, wo ich bei meinen Texten ansetzen kann, um sie besser zu machen.

Ich bin ihnen sehr dankbar. Sie tragen viel zur Güte und zum Erfolg dieses Blogs bei.

 

 

Woran man sehen kann, dass der Blog ein Erfolg ist

 

Als ich mit meinem Blog begann, habe ich mich im Netz umgeschaut und geguckt, was die meisten Klicks bekommt. Ich fand dieses:

·         Schminktipps

·         Modetipps

·         Irgendwelche „Influencer“ simulieren ein Leben. Sie tun so, als ob sie was erleben würden und lassen andere daran teilhaben.

·         Klatsch und Tratsch

·         Und so weiter

Klickzahlen konnten also in keiner Weise irgendein Ziel sein, das ich mit meinem Blog anstreben wollte.

Auf der anderen Seite wäre es mir aber auch nicht recht gewesen, wenn sich gar niemand auf meine Seite verirrt hätte. Ein paar Klicks sollten es schon sein.

 

Später stellte ich dann fest, dass ein Text zuverlässig besonders viele Leser fand, wenn ich tagesaktuelle Themen aus dem Bereich Autismus aufgriff. Aber Autismus gehört nicht zu meinen Spezialinteressen. Ich finde dieses Thema auch nicht abendfüllend. Es scheint in dieser Sache nur ca. 80 Inhalte zu geben, zu denen sich Texte schreiben lassen. Und diese Texte finde ich in beinahe jedem Blog eines Autisten in der einen oder anderen Form wieder. Nicht, dass das schlecht wäre. Aber wenn zu einer Sache schon alles gesagt worden ist (und darüber hinaus von so vielen) – warum sollte ich dazu noch irgendwas schreiben? Es steht ja schon im Netz.

 

Aber dass einer, der Viele ist – und Autist – auf einer Forschungsreise nach innen ist, das scheint bedeutend seltener vorzukommen. Und da das so ziemlich das einzige ist, was mich wirklich interessiert, schreibe ich dazu. Da gehen mir die Themen auch nicht aus. Andauernd taucht wieder irgendwas neues und spannendes auf -, wie das bei Forschungsreisen eben so ist.

 

 

Die im Dunkeln sieht man nicht

 

Im Laufe vieler Monate kristallisierten sich bestimmte Muster bei den Klicks heraus. So zum Beispiel, dass verblüffend viele Menschen meinen Blog bevorzugt zwischen 01:00 Uhr nachts und 04:00 nachts besuchen. Sporadisch bekam ich über Mails und Kommentare Rückmeldung. Und meine Kleinen sagten dazu:

„Da sitzen ganz viele im Dunkeln, und die lesen mit, und die sagen gar nichts.“

 

Ich habe keine Ahnung, wer da alles mein Zeug liest. Aber mittlerweile scheinen es wirklich viele zu sein. Ein Text von mir wird zur Zeit durchschnittlich mehr als einhundert Mal angeklickt. Und es ist ja nicht dieses übliche verbale Fast-Food, das ich hier anbiete. (Für Menschen, die im Englischen nicht so bewandert sind: „Fast-Food“ heißt auf Deutsch „Beinahe-Essen“ (und meine Kleinen kichern)). Meine Texte sind sehr oft vergleichsweise lang und inhaltlich … ja, inhaltlich haben sie es oft wirklich in sich und sind oft genug richtig schwer verdaulich. Und – wie wir weiter oben gesehen haben – oft genug sind sie von zweifelhafter Güte.

Und dennoch finden sie so viele Leser.

Das finde ich berührend.

 

Eine Analogie:

Manchmal - ganz selten - gehe ich bei uns im Supermarkt zum Buchregal, über dem in dicken und großen Buchstaben prangt: „SPIEGEL-Bestseller.“ Da stehen die Bücher, die sich laut Spiegel gerade besonders gut verkaufen. Ich blättere dann wahllos in diesen Büchern herum und mache Leseproben. Wie gesagt: Ich mache das nur noch ganz selten. Denn das Ergebnis ist immer dasselbe: Irgendein Stoff, der mir völlig belanglos und uninteressant erscheint, wird in einer heiter-beschwingten Sprache dargeboten. Nicht, dass das schlecht geschrieben wäre. Im Gegenteil – die Menschen, die da schreiben, verstehen wirklich was davon. Die können schreiben. Aber das zu lesen ist für mich so, als würde ich mich für klassische Musik interessieren und würde bis in alle Ewigkeit immer nur dieselben Stücke zu hören bekommen: Rondo alla Turca, eine kleine Schmachtmusik, Für Elise, das Forellenquintett, Aus der Neuen Welt … die üblichen Verdächtigen eben. Ich weiß, die Leute mögen das, und es ist ja auch wirklich gut geschrieben. Aber mir sagt es nichts und ich kann’s mittlerweile wirklich nicht mehr hören. 

 

Das, was ich in meinem Blog schreibe, ist nicht eine kleine Nachtmusik oder Freude, schöner Götterfunken. Es ist schwer verdaulich. Aber die Leute da draußen im Dunkeln lesen’s trotzdem.

Das finde ich berührend.

 

 

Dank an meine Leser und Leserinnen und Selbstbeweihräucherung und Kicherschluss und der Versuch mal eine wirklich lange Überschrift zu kreieren (was zwangsläufig zu weiterem Kichern führt)

 

Also:

 

An all die, die da im Dunkeln schweigend mein Zeug lesen:

Ich verneige mich vor euch.

Ich hoffe, dass ihr was von den Texten habt. Ihr dürft euch äußern, ihr dürft schweigen. Schweigen ist mir die liebste Kommunikationsform.

 

Im Moment kann ich kein Ende meiner Textproduktion absehen. Ständig kommen mir meine Kleinen mit was neuem an, worüber ich schreiben soll. Also wird da bis auf weiteres jede Woche ein Text von mir erscheinen. Mal besser, mal schlechter, aber immer zu hundert Prozent Stiller. Als ich meiner ehemaligen Religionslehrerin vor etwas über einem Jahr Sachen von mir schickte, schrieb ich ihr dazu:

 

„Ich weiß gar nicht, was der genaue Titel von meinem Blog ist. Irgendwas mit „autistischer Forschungsreise“. Aber du wirst ihn im Netz finden. So schreibe nur ich.“

 

(Und meine Kleinen kichern).

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