Ein Pfund Wurst - (Und meine Kleinen kichern).

Regelmäßige Leser meines Blogs wissen, dass ich Viele bin. Die meisten von uns nenne ich einfach meine „Kleinen“. Die Kleinen - das sind Kinder unterschiedlichen Alters. Meist sind es aber tatsächlich ziemlich kleine, die wir irgendwo auf unserem Lebensweg abgespalten oder verloren haben – Säuglinge und Kinder im Vorschulalter. Wir haben sie irgendwann Jahrzehnte später tot in uns wiedergefunden und dann wieder ins Leben zurückgeholt.

 

Und wenn ich hier von „wir“ und von „Viele“ spreche, dann meine ich tatsächlich ziemlich viele. Wie viele wir sind, das ändert sich natürlich laufend. Die Zahlen gehen permanent rauf und runter. Bei unserer letzten „Volkszählung“ im Herbst des vergangenen Jahres waren wir 624. Wir sind also ein richtiges kleines Dorf. Aber es hat auch schon Zeiten gegeben, wo wir deutlich über tausend waren. Immer wieder wachsen mehrere Kleine zu einem Kind zusammen, immer wieder kommen neue hinzu.

 

Meine Kleinen wohnen in einer Region in mir, die wir nur den Garten nennen. Das ist ein riesiges Gelände, das durch eine hohe Mauer aus roten Backsteinen von der normalen Welt getrennt ist. Dort sind sie absolut sicher. Es gibt ein Tor in dieser Mauer, an dem ein Teil von mir steht, den wir den Wächter nennen. Weiter hinten beginnt der Wald, und auf der Seite, wo es keine Mauer gibt, da ist die Grenze zu dem Bereich, den wir „das andere Land“ nennen. Manchmal – alle fünf Jahre ungefähr – laden wir jemanden ein in den Garten. Aber ansonsten – der Garten ist für euch unerreichbar. Wen wir nicht einladen, der findet ihn in aller Regel auch nicht. Und wer uneingeladen kommt (das ist sehr, sehr selten), der kann am Tor warten oder an der Mauer entlanglaufen, bis er schwarz wird (Sprachbild). Der Garten ist für uns. Hier kommt keiner rein. (Bis auf die, die wir eingeladen haben, natürlich). Mauer und Wächter und Tor sind absolut unüberwindbar. (Und aus dem anderen Land kommt niemand zu uns rüber. Jedenfalls niemand, von dem wir wüssten).

 

Im Garten geht es meinen Kleinen gut. Sie treiben dort den ganzen Tag Unfug. Sie kichern, sie wispern, sie foppen ihren Papa (mich, der das hier schreibt), ärgern ihn und versuchen, ihn reinzulegen. Sie sitzen neugierig bei mir auf dem Schoß und wollen vorgelesen bekommen, was ich hier so schreibe. Oder sie sitzen am Bach oder strolchen durch die Gegend.Sie spielen oder sie schlafen, sie schauen den Wolken nach, sie hopsen auf den Betten rum, sie erzählen sich Geschichten oder denken sich welche aus, sie schaukeln oder sie basteln … und manchmal erfinden sie was … . Abends zum Einschlafen lese ich ihnen vor, oder wir erzählen uns Geschichten. - Es geht ihnen gut im Garten. Es geht ihnen sehr, sehr gut.

 

Und mit Worten haben’s meine Kleinen. Davon will ich heute schreiben.

 

Sie denken sich den ganzen Tag Geschichten aus und erzählen sie sich gegenseitig. Manchmal bitten sie auch mich, ihren Papa, ihnen welche zu erzählen. Das soll dann immer spannend, lustig und lehrreich sein (sie wollen immer was lernen) und merkwürdige Worte sollen drin vorkommen. Sie lieben Wortspiele. Sie denken sich aber auch dauernd Worte aus und überlegen sich, was das wohl sein könnte. Und wenn sie nicht drauf kommen, dann fragen sie mich:

„Papa – was ist ein Gandoröh?“

„Weiß ich auch nicht. Wird wohl sowas sein wie Gonorrhö.“

Und dann kichern sie wieder.

Sie kichern viel.

Sie kichern den ganzen Tag.

 

Ich kann mich gut erinnern, dass sie eines Morgens direkt nach dem Aufwachen zu mir kamen und mir ihre neuesten Kreationen vorstellten.

Sie sprachen von „Geheimnisvölligkeit“. (Klar – wenn es das Adjektiv „geheimnisvoll“ gibt, dann ist es ja logisch, wenn man guckt, was wohl das zugehörige Substantiv sein könnte). An diesem Morgen war es also Geheimnisvölligkeit. Aber dann kamen andere Kleine des Wegs. Die schauten sich das an und meinten:

„Nee, das richtige Wort ist Mysteriosizität!“

Und dann sausten sie alle kichernd davon, und ich als Großer begann mein Tagewerk.

 

An einem anderen Tag wollten sie die Substantive vereinheitlichen. Da war es ihnen nicht recht, dass man von „Täter“ und „Opfer“ spricht. Sie meinten, das müsste der „Täter“ sein und der „Getätete“. So kann’s kommen.

 

Ich kann mich gut erinnern, dass ich sehr müde nach einem langen Arbeitstag aus dem Bahnhofsgebäude einer großen Stadt kam und ein riesiges Werbeplakat einer sehr bekannten Hilfsorganisation sah: „Den Armen Gerechtigkeit“ stand da. Riesengroße, schwarze Buchstaben. Meine Kleinen schauten sich das an und fragten mich:

„Und was ist mit den Beinen?“

 

Gerade vorhin kamen sie zu mir und verlangten zu wissen:

„Du, Papa, es gibt doch eine Pistole?“

Ich war ziemlich müde und war gerade mit irgendwas von meiner Arbeit beschäftigt. Ich nickte:

„Ja, es gibt dieses Wort. Es gibt eine Pistole.“ Ich wusste mal wieder nicht, worauf sie hinaus wollten.

„Ja, wenn das so ist“, machten sie weiter, „warum gibt es dann keine Alphastole und keine Betastole?“

An ihrem Gekicher merkte ich, dass sie mich mal wieder hatten foppen wollen. Und so murmelte ich:

„Aber immerhin gibt es einen Butterstollen.“

Und sie sausten wieder kichernd davon.

So geht das hier den ganzen Tag.

 

Und noch heute erzählen sie sich von diesem Tag vor ungefähr fünf Jahren. Wir schrieben uns Mails mit einem AS hin und her. Wir schätzen diesen AS sehr. Er ist sehr gescheit und sehr begabt. Er hat Analysefähigkeiten, die weit über unsere hinaus gehen. Problemstellungen, bei denen wir keine Lösung finden, legen wir ihm regelmäßig vor und bitten ihn, sie für uns zu analysieren. Da kommt dann fast immer was fruchtbringendes bei raus. Dieser AS hat’s drauf.

 

Diesmal ging es um Ängste, die mich und meine Kleinen bedrängten. Da gingen die Mails zwischen mir und diesem AS munter hin und her. Oft im Minutentakt. Aus irgendeinem Grund schrieb mir dieser AS plötzlich:

 

„Die Furcht vor Verlust ein Pfad zur dunklen Seite ist.“

 

Nur diesen einen Satz.

Das war was für meine Kleinen! Sie krähten sofort los vor Begeisterung und baten mich, antworten zu dürfen. Also ließ ich sie an die Tastatur. Sie drängelten sich dann da um die Tastatur und kicherten und wisperten. Ich verstand kein Wort von diesem Gewisper. (Wie so oft). Sie brauchten keine 30 Sekunden, um eine Antwort zu finden. Und dann las ich:

„Ein Pfund Wurst aus Lurch der Rat kurz vor der Pleite ist.“

Sie meinten, dass ich das so abschicken sollte.

Das hab‘ ich dann auch gemacht.

 

Und dann sausten sie kichernd wieder davon.

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Kommentare: 1
  • #1

    Kikkulade (Montag, 10 August 2020 09:51)

    :)