Déjà-vu

Nach allem, was ich weiß, kennt so ziemlich jeder Mensch das – man kommt in eine Situation, die man noch nie erlebt haben kann und ist sich trotzdem völlig sicher, das schon mal erlebt zu haben:

Man ist irgendwelchen Fremden schon mal begegnet, die man nachweislich zum ersten Mal sieht. Man betritt irgendwelche Räume nachweislich zum ersten Mal und ist sich ganz sicher, schon mal hier gewesen zu sein – und so weiter.

 

Ich will das mal zum Anlass nehmen, meine Sicht der Dinge zu schildern.

 

In der reinen Lehre gilt es nur als Déjà-vu, wenn wir uns sicher sind, das nicht geträumt zu haben. Aber das ist mir ziemlich egal, denn immer wieder erlebe ich solche Situationen und bin absolut sicher, das exakt so geträumt zu haben: Ich sehe das Foto einer Person zum ersten Mal und bin sehr sicher, sie zu kennen. Jemand beginnt einen komplizierten Satz und ich weiß exakt, wie dieser Satz weiter gehen wird. Ich sehe Tiere und weiß exakt, was sie als nächstes tun werden, weil ich diese Situation im Traum schon mal gesehen habe. Und so weiter. Meine Träume nehmen die Zukunft vorweg und sie machen zum Teil verblüffend exakte Zeitreisen in die Vergangenheit.

 

Da ich ziemlich esoterikavers bin, will ich an dieser Stelle nichts von Geisterwesen und As-tralebenen oder dergleichen hören. Als ich Student war, stellte ich fest, dass die Spinnerdichte an Universitäten extrem hoch zu sein scheint. Da hörte ich von Meinesgleichen zum Teil extrem viel dunkles Geraune von irgendwelchen Welten und Ebenen und Hast-du-nicht-gesehen. Das ist nicht so meins. Wenn du Dinge siehst, die nicht da sind oder Stimmen hörst oder mit Wesen kommunizierst, die andere nicht wahrnehmen, dann frage dich als erstes, welche Teile von dir selber du da nicht wahrnehmen und wahrhaben willst. Oder um es anders auszudrücken: Mit teilzeiterleuchteten Freizeitschamanen will ich nichts zu tun haben. Die haben nach meiner Erfahrung Probleme mit sich selber, die sie nicht wahrhaben wollen und deshalb nach außen wenden. Von solchen Leuten habe ich bislang ausnahmslos dummes Zeug gehört, wenn es um Phänomene ging, zu denen die Wissenschaft bislang noch nichts zu sagen weiß. Ich selber definiere mich als Wissenschaftler, und als solcher gehe ich die Welt an: Ich bilde Hypothesen, ich zähle, ich messe, ich werte statistisch aus.   

 

Dennoch habe ich einige Fähigkeiten, die andere nicht haben, die von der Wissenschaft untersucht, aber nicht mal im Ansatz verstanden werden. Meine Synästhesie ist so ein Fall: Ich sehe Bilder, Farben, Figuren und Strukturen dort, wo nachweislich keine sind. Die Wissenschaft nennt das „Synästhesie“. Damit ist nichts erklärt, aber jetzt hat diese Fähigkeit ihren offiziellen Namen. Und ab jetzt darf geforscht werden. Bislang kam nichts Handfestes dabei raus.  

 

Dann gab es da dieses Gespräch mit der Grande Dame der deutschen Transaktionsanalyse. Bei der befand ich mich seit über einem Jahr in der Ausbildung zum Transaktionsanalytiker. Ich stellte ihr in kurzen Skizzen verschiedene meiner Fähigkeiten vor und bat sie darum, das einzuordnen. Sie dachte eine Weile konzentriert nach und begann dann mit den Worten:

„Stiller, seit ich dich kenne, bist du in mindestens zwei Welten unterwegs.“

Na klasse!

Das war auch mein Erleben, aber davon hatte ich bislang niemandem erzählt.

 

Ich kann Dinge, die andere nicht können. Nachweislich. Ich verdiene mein Geld damit. Bislang scheint niemand in der Lage zu sein, diese Fähigkeiten zu erklären. Aber dass ich in eine Vergangenheit gucken kann, die ich nie erlebt habe und die Zukunft von völlig banalen Ereignissen exakt vorhersagen kann, das glaube ich eher nicht. Deshalb nenne ich es Déjà-vu. Aber das erklärt auch nichts. Wenn ich mich auf die Teile von mir konzentriere, die diese Fähigkeiten haben, dann nehme ich wahr, dass ich hier extrem sensibel und gefährdet bin. Es ist meine Aufgabe, sie zu schützen und ihnen gerecht zu werden.

 

So gehe ich bis auf weiteres davon aus, dass ein Teil dieser ungewöhnlichen Fähigkeiten tatsächlich da ist, und das ein anderer Teil nicht da ist. Die Illusion, diese Fähigkeiten zu haben, beruht vermutlich auf Selbststimulation des Gehirns, auf Selbsttäuschung oder verfälschten Erinnerungen.

 

Aber das ist nur meine Sicht der Dinge.

Jeder darf eine andere haben.

 

 

 

P.S.

Als ich die „Grand Dame“ der deutschen Transaktionsanalyse viele Jahre später schriftlich ins Bild setzte, dass ich jetzt offiziell als Asperger-Autist diagnostiziert sei, gratulierte sie mir. Und sie wünschte mir „Als Forschungsreisender deiner selbst“ weiterhin viel Erfolg.

Durch diese guten Wünsche wurde ich zum Titel meines Blogs angeregt.

Das war mein Leben: Ich war auf einer autistischen Forschungsreise.

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Kommentare: 1
  • #1

    Neo-Silver (Montag, 30 Juli 2018 12:40)

    Als Kind und Jugendlicher hatte ich dieses Phänomen unentwegt und konnte es mir, auch aufgrund mangelnden Wissens, nicht richtig erklären.
    Damals gab es auch kaum Lektüre dazu und das einzige, ähnlich wie Heute, was dazu auffindbar war, ist das Wort Déjà-vu.

    Meine Vermutung war es, ähnlich wie du es im letzten Abschitt beschreibst, dass eine Mischung aus fehlerhafter Verarbeitung des Gehirnes und der folgenden Reproduktion der Bilder im Traum, zufällig eine Situation erschaffen worden ist, welche bisher nicht real existierte, dann aber dennoch abgespeichert worden ist und irgendwann auf ein Ereignis in der realen Welt passt.

    Was mich aber bis Heute verblüfft ist die Tatsache, dass zwischen Traum und realer Situation scheinbar nur wenig Zeit vergeht.
    Damit meine ich, dass ich immer subjektiv das Gefühl hatte, der Traum wäre erst kürzlich, wenige Tage oder gar Stunden her, als das Ereignis in der realen Welt eintrat.

    In jüngster Zeit geht meine Vermutung in Richtung Quantenverschränkung oder ähnlicher, eventuell gar unbekannter physikalischer Gesetze.
    Auch wenn es ebenso kühn klingt, wie zu behaupten man wäre Hellseher, könnte eine Teilchenverbindung, ein Gewebe welches alles oder vieles eventuell auf Planckgröße verbindet und somit in eine Wechselwirkung stellt, solche scheinbar nicht-kausalen Ereignisse erklären.