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Das Neurotypische Syndrom 11 - Nein 01

Die NTs, die meine Welt bevölkern, verhalten sich mir gegenüber fast immer so, als hätten sie das Konzept „Nein“ nicht begriffen. Da sie durchschnittlich begabt sind, kann das nicht an ihrer mangelnden Intelligenz liegen. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass auch dies eine Folge des Neurotypischen Syndroms ist.

 

Ich will ein paar Beispiele anführen, die das Verhalten der NTs illustrieren. Der Einfachheit halber entnehme ich sie alle der Arbeitswelt.

 

„Kommst du auch zur Weihnachtsfeier?“

„Nein.“

„Aber wieso das denn?! Alle kommen … (und bla und blubb)“

 

Nach dem Mittagessen:

„Gehst du noch mit auf einen Kaffee ins Bistro?“

„Nein.“

„Aber die haben da jetzt ganz neue Kaffeesorten aus Nicaragua und so. Alles Fair Trade … (und bla und blubb).“

 

Im Büro:

„Kannst du mir grad mal helfen? Mein Rechner ist schon wieder abgestürzt.“

„Nein.“

„Aber ich kann das nicht und irgendwie muss ich das hier fertig kriegen bis Mittwoch.“

„Ich kann das auch nicht. Ich hab‘ von Computern keine Ahnung. Ruf die Hotline an.“

„Aber schau doch mal, was hier steht … (und bla und blubb)“

 

Am Ende einer langen und ziemlich kräftezehrenden Dienstreise. Ich bin beim Kollegen im Auto mitgefahren oder er bei mir. Wir kommen bei ihm zuhause an:

„Kommst du noch mit hoch.“

„Nein.“

„Du, meine Frau ist schon ganz neugierig auf dich. Ich hab‘ ihr so viel von dir erzählt.“

„Nein.“

„Aber (und bla und blubb).

 

Im Büro:

„Soll ich dir mal erzählen, was ich gerade von Dr. Meyer gehört habe?“

„Nein. Sollst du nicht. Ich habe hier eine Terminsache, und die muss fertig werden.“

„Aber fünf Minuten wirst du ja wohl noch haben … (und bla und blubb)“

 

Und so weiter, und so weiter.

Ich nehme an, dass alle AS das kennen.

 

Worum geht es hier?

Was passiert hier?

 

Ich kann es zum jetzigen Zeitpunkt nur vermuten, aber ich nehme an, dass dies die Zusammenhänge sind:

 

1

Ein Hauptmerkmal der Menschen, die am Neurotypischen Syndrom leiden, ist, dass sie die soziale und emotionale Zuwendung, die die Menschen brauchen, um überleben zu können,

a)    sich nur in sehr geringem Maße selber geben können und

b)    nur in sehr geringem Maße speichern können.

 

2

Daraus ergibt sich, dass sie beinahe rund um die Uhr darauf angewiesen sind, dass sie jemand von außen emotional und sozial betankt. Der durchschnittliche NT ist sozial und emotional bedürftig, so lange er wach ist.

 

3

Konstruieren die NTs im Zusammensein mit mir eine Situation, in der sie sich von mir emotionale und soziale Zuwendung erhoffen, dann wird von ihnen mein Nein so erlebt, dass ich sie vom lebensnotwendigen Nachschub an Zuwendung abschneide.

 

4

Das löst in ihnen Todesangst aus, die ihnen nicht bewusst ist. Diese unbewusste Angst wird dann ihr stärkster Antrieb. Was ihnen aber meistens bewusst ist, ist ihr starker Unwille mir gegenüber. Denn sie erleben das so, dass ich ihnen etwas nicht gebe, was ihnen selbstverständlich zusteht, und was sie unbedingt brauchen.

 

5

Um diese Angst zu vermeiden und doch noch die als lebensnotwendig erlebte emotionale und soziale Zuwendung zu bekommen, fangen sie nach meinem Nein an, in mir herumzuporkeln wie ein Schimpanse in einem Termitenbau. Da sie mir gegenüber in dieser Situation einen starken Unwillen verspüren (s. Punkt 4), trübt keinerlei schlechtes Gewissen oder gar Hemmung ihr Tun.

 

6

Sie porkeln, um wenigstens negative Zuwendung zu bekommen. Mit anderen Worten: Es macht ihnen überhaupt nichts aus, wenn sich am Ende er Kommunikation alle Beteiligten schlecht fühlen.

 

7

All das ist den NTs selbstverständlich nicht bewusst. Sie würden es daher vehement abstreiten, wenn sie unvorbereitet mit diesen Zusammenhängen konfrontiert werden würden. j

 

 

 

Falls Sie selber AS sind, lassen Sie sich bitte nicht täuschen:

 

Sämtliche NTs, die ich hier im Blick habe würden, bei Nachfrage jeden Eid schwören würden, dass sie

a)    sehr tolerant sind und

b)    anderen Weisen, in der Welt zu sein sehr wohlwollend, ja geradezu fördernd gegenüberstehen. („Ich sag ja immer – jeder Jeck ist anders!“, „In der Vielfalt liegt doch die Würze!“, „Wäre doch schlimm, wenn wir alle gleich wären!“)

 

Aber wenn sie emotional und sozial bedürftig sind, dann hört das mit der Toleranz gegenüber anderen Weisen, in der Welt zu sein, schlagartig auf. (Und die allermeisten NTs sind beinahe immer emotional und sozial bedürftig). Wenn die NTs in so einer Situation mit einem Nein konfrontiert werden, dann bauen sie massiven sozialen Druck auf, um negative Zuwendung zu erpressen – das reicht vom Rumgenörgel bis zur Nötigung.

 

Für mich ist es oft unheimlich ermüdend. Das geht buchstäblich bis zur Erschöpfung so (bis zu meiner Erschöpfung, versteht sich):

„Blablaba.“

„Nein.“

„Aber bla und blubb.“

„Nein.“

„Aber bedenke doch.“

„Ich habe bedacht. Das Ergebnis ist: Nein.“

„Aber sieh’s doch mal so.“

„Ich habe es auch so betrachtet. Das Ergebnis ist: Nein.“

„Aber bla und blubb.“

Und so weiter - ad infinitum.

 

Wie kann ich mich dagegen schützen?

 

Ich habe verschiedene Techniken entwickelt. Die, die ich am häufigsten einsetze, ist lügen.

Ich lüge wie gedruckt, wenn ich mit den NTs zusammen bin. Das tue ich solange ich mit ihnen zusammen bin, notfalls den ganzen Tag. Dann sind sie zufrieden und ich bekomme mein Nein durch.

 

Beispiele:

 

„Blabla“

„Oh, ich würde ja gerne, aber meine Tochter ist krank, und ich muss schnell nach Hause.“ (Natürlich ist meine Tochter kerngesund und es fehlt ihr nichts).

 

„Bla und blubb.“

„Tolle Idee, aber ich habe leider schon Hubert versprochen, dass ich ihm bei seinem Konzept helfe.“

(Natürlich stimmt das nicht. Aber Hubert ist gerade weit weg und wird später nicht befragt werden).

 

 

 

Zusammenfassung

 

Menschen, die am Neurotypischen Syndrom leiden, können das Nein eines Autisten in aller Regel nicht akzeptieren, weil das für sie (die NTs) bedeuten würde, auf soziale und emotionale Zuwendung zu verzichten. Dieser Verzicht würde von den meisten NTs als lebensbedrohlich erlebt werden.

 

Um trotzdem irgendwie zu ihrer Zuwendung zu kommen, fangen die NTs nach dem Nein an, den Autisten in Scheinargumentationen zu verwickeln. Sie hoffen, dass sie auf diese Weise wenigstens negative Zuwendung bekommen.

 

Am besten schützt man sich als Autist dadurch, dass man sozial akzeptierte Lügen erfindet und erzählt.

 

Die NTs wollen das so.

 

 

 

Das Motto ist also:

Schütze dich selbst, wenn du einen NT mit einem Nein konfrontieren musst:

 

Lüge, was das Zeug hält!

 

 

 

P.S.

Keine Sorge:

Das Zeug hält schon.

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