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Der Herr ist ihr Hirte

Spätsommer im Taunus an einem sonnigen Sonntag. Ich wandere am Gipfel des Feldbergs entlang und bin weitgehend alleine. Die ganzen NTs knubbeln sich weiter oben auf dem weitläufigen Gipfelplateau, wo das Halli-Galli geboten wird, das sie so schätzen. Darüber hinaus habe ich Stöpsel in den Ohren und meine empfindlichen Augen werden durch eine leistungsstarke Sonnenbrille wirksam geschützt: Ich kann beinahe überall hingucken, ohne dass es weh tut. Die Welt kann sehr schön sein.

 

Ich marschiere auf einem einsamen Waldweg entlang – alles ist friedlich. Aber dann sehe ich am Ende einer langen Geraden die Rückseite eines weißen Lieferwagens, der da am Rand des Weges abgestellt wurde. Schlechtes Zeichen! Ganz schlechtes Zeichen! Dieser Weg hier ist gesperrt für Fahrzeuge aller Art. Er ist nicht leicht zu befahren. Da heute Sonntag ist, ist es sehr unwahrscheinlich, dass jetzt irgendwelche Forstarbeiter unterwegs sind. Offenbar haben irgendwelche NTs sich hier breit gemacht. Und egal was die jetzt im Wald treiben – sie werden ihren Unfrieden und ihren Krach mitgebracht haben: Schlechtes Zeichen!

 

Als ich näher komme, sehe ich, dass die beiden Hecktüren des Lieferwagens geöffnet sind. Auf der Ladefläche steht eine größere Maschine: Eindeutig ein Stromgenerator: Die Zeichen werden immer schlechter! Was ich sehe, bedeutet, dass es gleich ziemlich laut werden wird. Denn wofür brauchen die NTs hier im Wald Strom, wenn nicht dafür, den Krach, ohne den sie nicht leben können, elektronisch zu verstärken?

 

Hinter der Kurve steht ein Gewühl von NTs auf dem Waldweg. Der Wald selber verbreitert sich hier zu einer Art Lichtung – NTs, wohin das Auge auch blickt. Einige sind in Wanderkleidung da, aber die allermeisten tragen Stadtzivil: Die haben sich in den Wald verirrt. Alle schauen in dieselbe Richtung. Da NTs (genauso wie ich) in ihrer eigenen kleinen Welt leben, die sie nicht verlassen können, wissen sie oft nicht, dass es Menschen gibt, die die Welt ganz anders erleben als sie selber. (Genauso wie ich). So ist es auch hier. Für sie ist das hier ein Versammlungsplatz. Für mich ist das ein Wanderweg. Und da es für sie ein Versammlungsplatz ist, macht keiner von ihnen Anstalten, mir aus dem Weg zu gehen.

Wie ich schon sagte: Schlechtes Zeichen.

 

Da ich meinen Schrittrhythmus verlassen muss, werde ich langsamer und schaue, was denn der Anlass für diese Guckerei ist. Ich ahne es schon, will mich aber vergewissern. Und richtig: Da steht es - ein riesiges Holzkreuz. Irgendeine Schar verirrter Christen ist der Enge ihrer Kirche entflohen und trägt jetzt ihren finsteren und lärmenden Aberglauben in die Stille des Waldes. Kann man so machen. Der Herr wird es ihnen danken. Im Taunus tun die Christen sowas gerne, wenn die Witterung es zulässt. „Waldgottesdienst“ nennen sie das. Und für die in den Hirnen Junggebliebenen scheint das eine Bereicherung ihres Alltags zu sein. Normalerweise haben sie dafür reservierte und vorbereitete Plätze im Wald, (die ich stets meide), aber die hier wollten offenbar mal was Neues.

 

Ich komme auf meinem Weg allmählich voran („Darf ich mal durch?“) und arbeite mich zum Zentrum des Gewühls vor. Ich passiere eine Blechbläserkapelle. Gottlob schweigt gerade die Musik zu Ehren des Herrn. Die Bläser stehen artig, Instrument bei Fuß, und schauen in die gleiche Richtung wie die anderen. Da steht an etwas erhöhter Stelle irgendein unglücklich wirkender Mann, der dramatische Gesten macht und sich mit einem Mikrofon abmüht. Das muss der örtliche Hirte sein. Ich beschleunige meinen Schritt so gut es geht. Aber ich bin nicht schnell genug.

 

„… zu wissen, dass er für uns gestorben ist …“ dröhnt es mir in die Ohren. Da helfen auch die besten Ohrenstöpsel nichts. Aber jetzt geschieht etwas Interessantes: Da ich Synästhet bin, ruft beinahe jeder Sinneseindruck Farben und Formen in mir hervor. Und dieser kurze Halbsatz

„… zu wissen, dass er für uns gestorben ist …“

hat eine intensive rote Färbung. Ich kenne diese Färbung. Ich kenne sie ganz genau. Und es dauert nur ein paar Minuten, bis ich weiß, woher ich sie kenne:

30. Januar 1943, Herrmann Göring spricht anlässlich des Jahrestages der Machtergreifung zum Deutschen Reichstag. Abgefüllt bis zum Rand mit Morphium faselt er sich die übliche Scheiße zusammen. Und für jeden, der Ohren hat, um damit zu hören, wird durch den Klang der Stimme deutlich, dass Göring selbst nicht glaubt, was er sich da gerade zusammenschreit.

 

„… sie starben, damit Deutschland lebe …“

Das ist aus Görings „Rede“. (Es ist keine „Rede“, sondern eher eine „Schreie“, deshalb die Anführungsstriche).

Göring hatte in dieser „Rede“ exakt denselben kehligen Ton, wie der Hirte, den ich gerade auf dem Waldweg gehört hatte. Es ist dasselbe Fehlen des Brusttons der Überzeugung: Wer nicht überzeugt ist von dem, was er sagt, hat meistens große Mühe, seiner Stimme Volumen zu geben und spricht aus der Kehle. Aber zu meiner Verblüffung ist nicht nur der Tonfall derselbe, sondern auch der Inhalt: Hier wie dort ist irgendwer für irgendwen gestorben. Faszinierend.

 

In den nächsten Stunden denke ich über diesen Zusammenhang nach. Und immer wieder in den nächsten Tagen und Wochen taucht dieses Topos in meinen frei fließenden Gedanken auf. Ich fange an zu recherchieren, wo in der Geschichte schon mal angeblich irgendwer für irgendwen gestorben ist. Dabei stelle ich fest, dass dieses Bild aus der Geschichte der Menschheit anscheinend nicht wegzudenken ist. Das taucht so ziemlich überall in der Geschichte auf: A ist für B gestorben, und das erlegt B eine folgenschwere Verpflichtung auf. (Oft wird B dadurch verpflichtet, ein durch und durch unglückliches Leben zu führen oder am besten selber für eine Person C zu sterben). 

 

Ich recherchiere auch das Gegenteil: Dass A für B am Leben geblieben ist. Aber das finde ich in der überlieferten Geschichte der Menschheit beinahe nie. Faszinierend. Es muss also gestorben werden. Aber warum?

 

Ich konnte diese Frage bislang nicht klären. Aber das Christentum fügt sich hier nahtlos ein: A ist für B gestorben – und daraus ergeben sich für B Verpflichtungen. Das können die Christen halten, wie sie wollen – für mich ist niemand gestorben – aber sicher scheint zu sein, dass das Christentum ohne dieses Sterben undenkbar wäre. Und wenn das Sterben ein so zentraler Bestandteil einer Religion ist, dann hat das bedeutsame Konsequenzen für alle, die dieser Religion folgen. Und tatsächlich: Das Christentum ist keine Religion des Lebens, wie manche meinen, sondern ein düsterer Kult des Todes.

 

Das international gebräuchliche Symbol des Christentums ist das Kreuz. Das Kreuz ist ein Folterinstrument. Dieses Folterinstrument diente ausschließlich dem Zweck, einen Menschen auf möglichst qualvolle Weise zu Tode zu bringen. Auch das habe ich recherchiert: Ein Kreuzestod dauerte normalerweise drei Tage – so lange dauerte es früher, bis jemand am Kreuz zu Tode gefoltert war. (In der Bibel wird dieser Zeitraum auf einen Tag reduziert, aber das ändert auch nichts).

 

Und dieses Symbol des grausamen Foltertodes ist das Kernstück des Christentums überall auf der Welt. Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, dass es bei dieser Religion der Tod im Mittelpunkt steht und nicht das Leben, wird das Kreuzsymbol sehr oft angereichert mit der  detaillierten Darstellung einer auf das Kreuz genagelten, fast nackten männlichen Leiche. Würde eine Werbeagentur in heutiger Zeit beauftragt, ein Symbol für den Tod zu schaffen, könnte sie kein besseres finden.

 

Zu diesem Symbol des Todes beten die Christen. Unter ihm versammeln sie sich, es hängt in ihren Wohnstuben, es steht auf Berggipfeln, es baumelt als Schmuckstück an Milliarden von Halsketten: Da, wo die Christen sind, ist auch der Foltertod. Denn der Foltertod ist das Kernstück des Christentums. Nochmal, weil diese Klarstellung so wichtig ist: Das Christentum ist keine Religion des Lebens, wie manche meinen, sondern ein düsterer Kult des Todes.

 

Das alleine wäre schon schlimm genug. Aber es geht ja noch weiter:

Hier ist ja nicht irgendwer zu Tode gefoltert worden, sondern hier – so erzählen es sich jedenfalls die Christen – hat ein Vater seinen eigenen Sohn zu Tode foltern lassen. Kann es in der Beziehung Eltern – Kind irgendwas Grausameres geben, als wenn die Eltern ihr eigenes Kind zu Tode foltern oder es zu Tode foltern lassen?

 

Und es geht tatsächlich noch schlimmer:

Der Vater – so erzählen es sich jedenfalls die Christen – hat das nicht etwa aus Sadismus getan. Also dieser Gedanke wäre ja sehr naheliegend: Dass der Vater ein psychopathischer Sadist ist, dem jedes Mitgefühl fehlt. Aber die Christen erzählen sich, dass der Vater aus lauter Liebe seinen Sohn zu Tode foltern ließ. Und das ist so ziemlich der Gipfel. Aber die Christen glauben unermüdlich dran. Wider jede Vernunft. Wider jedes Mitgefühl. Sie tun’s seit zweitausend Jahren.

 

Wenn irgendwer tatsächlich glaubt, dass es ein Zeichen der Liebe sein kann, wenn ein Vater seinen Sohn bestialisch zu Tode foltern lässt, dann ist das Gehirn und das Herz dieses Menschen derart vergiftet, dass er den Kontakt zu wesentlichen Teilen der Realität verloren hat. Einem derart vergifteten Menschen kann man buchstäblich jeden Mist und Blödsinn vorsetzen – er wird es glauben und für wahr halten. Wenn jemand derart vergiftet ist, dann ist Krieg Frieden, dann ist Freiheit Sklaverei, dann ist Unwissenheit Stärke.

 

Wenn jemand so einfache Zusammenhänge nicht begreift wie, dass es kein Zeichen der Liebe sein kann, wenn ein Vater seinen Sohn zu Tode foltert – was soll er dann begreifen? Wie soll man mit so einem Menschen noch argumentieren? Wie soll dieser Mensch jemals echte Gefühle fühlen oder klare Gedanken denken? (Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit!)

 

In einer seiner letzten Schriften empfahl Luther der Obrigkeit, den Juden ihre Häuser anzuzünden als Zeichen der „strengen Barmherzigkeit“. Wie man sieht, ist das ein urchristlicher Gedanke.

 

Wer solchen Quatsch glaubt, der bedarf zeitlebens der Führung, denn er hat den Kontakt zur Realität weitgehend verloren. Er bleibt ein Leben lang unmündig und unfrei. Und so ist eines der beliebtesten Bibelzitate:

„Der Herr ist mein Hirte …“ Das ist zwar aus dem Alten Testament, aber das macht nichts, die Christen lieben diesen Psalm, denn er passt so gut zu ihnen.

 

Und wahrlich: Der Herr ist ihr Hirte. Und solange das so bleibt, wird es ihnen an sehr vielem mangeln. Vor allem an Liebe, Mitgefühl und Klarsicht.

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